Titel: 1001 Schneeweiße Nächte
Serie: Fables
OT: Fables: 1001 Nights of Snowfall
Autor: Bill Willingham
Illustrationen: Charles Vess e.a.
Ü: Gerlinde Althoff
Seiten: 148
ISBN: 978-3-86607-548-1
Verlag: PaniniComics, 2008
Rezension: Frank Drehmel
Für diejenigen, welche die preisgekrönte Serie, die wie Sandman, Hellblazer oder Preacher unter dem Vertigo-Label des DC-Verlags erscheint, (noch) nicht kennen eine sehr kurze Zusammenfassung des Hintergrundes: der Krieg mit einem namenlosen Wesen, dem “Feind”, veranlasst unsterbliche Märchengestalten - den bösen Wolf, Schneeweißchen, Pinocchio, u.v.a.m. - aus ihrer Märchenwelt in die Welt der Sterblichen zu fliehen, um hier in der Stadt New York im Exil eine kleine und geheime Enklave zu gründen.
“1001 Schneeweiße Nächte” stellt zumindest in den einzelnen Episoden eine Art Prequel zu dem Grundplot der Serie dar. Snow White reist in den Orient, um die arabischen Märchenländer vor dem Widersacher zu warnen, unter dessen Ansturm die europäischen schon fielen. Am Hofe des Sultans Shahryar wird sie zunächst freundlich aufgenommen, muss jedoch bald feststellen, dass der Herrscher Böses im Schilde führt. Weil er in Frauen grundsätzlich betrügerische Wesen sieht, erließ er das Edikt, jeden Morgen die Frau zu köpfen, mit der er die letzte Nacht verbrachte. Die Nächste auf seiner Liste ist nun Snow White, obgleich sich ihre Zusammenkunft sittsam gestaltete und sie einen offiziellen Gesandten-Status innehat.
Doch Snow ist alles andere als auf den Kopf gefallen und versucht, um selbigen zu behalten, Shahryar mit Geschichten zu umgarnen. Ihre Erzählungen, die näher auszuführen den Inhalt dieser Rezension sprengte, führen zurück in die Vergangenheit einzelner, liebgewonner Fables-Protagonisten, wie Prince Charming, Reynard, dem Fuchs, Bigby Wolf, Schneeweißchen und ihrer Schwester Rosenrot oder der “bösen” Hexe.
Kaum eine amerikanische Comic-Reihe wurde in jüngster Zeit mehr in den Himmel gelobt als Bill Willinghams “Fables”; nicht ganz ohne Grund, wie mehrere Eisner Awards zu belegen scheinen (auch wenn dieser Preis nicht unumstritten ist). So gewann der vorliegende Band 2007 in der Kategorie “Best Anthology”; zudem erhielten einige der hieran beteiligten Künstler im selben Jahr (oder vorher) Auszeichnungen in weiteren Kategorien.
Ich will - so wie immer (^^) - ehrlich sein: für mich ist die Wahl der Award-Jury angesichts des ebenfalls nominierten “Japan as Viewed by 17 Creators” alles andere als nachvollziehbar, denn jenseits des zweifellos vorhandenen Humors und eines Unterhaltungswertes gerade für Fable-Fans folgt “1001 Schneeweiße Nächte” vor allem auf der Erzählebene einem in weiten Teilen konventionellen, wenig erfrischenden Ansatz.
Die Serie lebt zum einen von der Konfrontation zwischen moderner Welt und den im Märchen manifestierten archaischen bzw. tradierten Ängsten und Moral-Vorstellungen, zum anderen - über die bloße Konfrontation hinaus - in der Demontage liebgewonner Märchen-Stereotype und Archetypen.
In den Storys dieser Anthologie findet die Konfrontation kaum oder gar nicht statt, d.h. die Geschichten verlassen einen gleichsam natürlichen, märchenhaften Kontext nicht. Und die Demontage bzw. das lustvolle Spielen mit Klischees erfolgt in zu wenigen und bezeichnenderweise sehr kurzen Episoden - hervorzuheben hier: der Prinz, der sich in Stresssituationen immer wieder in einen Frosch zurückverwandelt (S. 64 - 71), oder das Kaninchen Colonel Thunderfoot, das von einem Zauberer seiner Spezies in einen Menschen, also ein Monster verwandelt wird, um fortan Kaninchen-Damen nachzusteigen, damit sie ihn erlösen (S. 86 - 88) -, als dass es den gesamten Comic tragen könnte.
Der Großteil der Storys ist wenig pointiert erzählt, plätschert lediglich vor sich hin und eröffnet keine wirklich neuen Sichtweisen; skurrile, originelle oder - im Vergleich zur Serie - weiterführende Positionen in der Charakter- und Situations-Konstruktion werden zu Gunsten einer eher klassischen, leicht moralisierenden Märchenerzählweise aufgegeben.
Aus diesem konventionellen Ansatz heraus erklärt sich auch das hier kolportierte negative Islam-Bild, das in seiner Klischeehaftigkeit - frauenfeindlich (“Bei ihm suchten wir Zuflucht vor der Schlechtigkeit der Frauen”) und imperialistisch (“Denn tatsächlich ist sowohl dein Land als auch das des Feindes Dar al Hab, das bedeutet, Land des Krieges, und eines Tages werden sie vielleicht zum großen Kalifat gehören.”) - durchaus etwas wohlfeil Tumbes an sich hat.
Zumindest in dieser Form ist Willingham weit, sehr weit davon entfernt, einem Gaiman den Rang abzulaufen, so wie es “kundige” Comic-Auguren im marketingtrunkenen Überschwang prophezeiten.
Deutlich erfreulicher ist das grafische Moment dieser Anthologie, das trotz - oder gerade wegen der unterschiedlichen Stile aller beteiligten Künstler- durch die Bank überzeugt. Natürlich treffen einige Illustratoren mehr meinem Geschmack (Charless Vess, Tara McPherson oder Esao Andrews), andere weniger (Mark Buckingham oder Jill Thompson), doch gerade im Nebeneinander sind sie nahezu gleichwertig bzw. gleich bedeutsam, geben sie doch eine vage Ahnung - mehr allerdings auch nicht - von der grafischen Vielseitigkeit, die das Medium Comic zu bieten hat.
Fazit: Grafisch zwar ein Genuss, in der Story oder
- besser - den Storys nicht überzeugend.