14.03.2010

O könnt' ich Alles geben (Herzblut I-XVII)

I.

O könnt' ich Alles geben,
Was dieses Herz bewegt,
Und all die tausend Gedanken,
Die wüst mein Schädel hegt!

Es dränget heiß zur Lippe,
Was mir das Herz zerbricht;
Ich kenn' es, ach, ich fühl es -
Doch sagen kann ich's nicht!

Ada Christen - Aus: »Lieder einer Verlorenen« (1868)

Es fragen mich die Menschen (Herzblut I-XVII)

II.

Es fragen mich die Menschen,
Was mich so elend gemacht
Ich sag' euch, ich habe mein Elend
Mit auf die Welt gebracht.

Es liegt in meinem Fühlen
In dem halbentfesselten Geist,
Der aufwärts will und den Alles
Zur Erde doch wieder reißt.

Ada Christen - Aus: »Lieder einer Verlorenen« (1868)

Menschen

Als ich, mit der Welt zerfallen,
Schweigend ging umher,
Da fragten die lieben Menschen:
Was quälet dich so sehr?

Ich sagte ihnen die Wahrheit;
Sie haben sich fortgedrückt
Und hinter meinem Rücken
Erklärt, ich sei verrückt.

Ada Christen

Todt

Mir ist, als wär der Himmel leer,
Die Erde nur ein weites Grab,
Und jeder Stern rings ausgeglüht,
Dem Herzen gleich, das Alles gab.

Und ich, das Grabmal meines Ich's,
Steh' öd' und still und ganz allein;
Es braust der Wind, der Regen weint.
Kalte Thränen, auf kalten Stein .....

Ada Christen

Grau

Ein sinnend matter, grauverhüllter Tag ...
Er fliesst so weich heut mit mir selbst zusammen ...
Umflort sind Träume, Düfte, Klänge, Flammen ...
Weil ich am liebsten weinen - weinen mag ...

Der todte Mann ... und was ich einst empfunden,
Und was ich gern empfinden, fassen will ...
Das athmet in den Lüften, schlummerstill,
Es gleiten lautlos, todtenmüd' die Stunden ... -

Lisa Baumfeld

Erstarrt

Gebannt in dumpfes Nichts lag meine Seele.

Rings flammte Lieb' und Sommer in den Kelchen,
Rings blühten duftig die Gedichte auf ...
Doch meine Seele schlich erblindet, träge
Und todt- durch goldigblonde Rhythmen hin ...
Durch aller Räthsel ahnungsvolles Raunen
Gespensterkühl ... matt und verständnislos.

Gebannt in dumpfes Nichts lag meine Seele.

Da kam ihr plötzlich ... langersehnt... der jähe
Urtiefe Schmerz, der sie befreien soll.
Er soll mit Blitzesbrand mein Herz erschüttern,
Er soll versengen, dass aus grauem Schutt
Die neue Blüte blass und düfteschwer
Emportaucht ... Endlich! weine, meine Seele!

Sie weinte nicht ... die schweren Flügel zuckten,
Dann stöhnte sie ein wenig und sie schwieg ...

Es kam kein Blitz ... Nur Kälte ... Kälte ... Kälte ...
Dass alle Thränen ihr in Eis erstarrt ...

Lisa Baumfeld

An die Nacht

O stille Freundin Du! O wortlos ernste Nacht!
Nimm meinen lauten Schmerz in Deine Mutterarme!
Verhüll' mein müdes Haupt in Deiner Schleier Pracht,
Daß dieses starre Herz in Thränenthau erwarme.
Zeig' mir Ihn fern im Traum, erwecke heiß'res Sehnen -
Die harte Wirklichkeit nahm mir den Trost der Thränen.

Des Tages Forderung und seiner Fragen Qual,
Sie bleiben, fern gebannt, in weitem Kreise stehen -
Und frei von fremdem Zwang erhebt zum erstenmal
Die Seele sich empor, will weithin rückwärts sehen
Dorthin - wo sie geglaubt, dem Tod sich hinzugeben,
Und ach! so tief geirrt! sie gab sich hin - dem Leben!

Adele Schopenhauer

Rastlos

Mir wird's zu eng in meinem Haus,
Ich muß ins weite Feld hinaus.

Ich will durch öde Heide gehn,
Wo Stürm' in hohen Tannen wehn;
Vielleicht verweht der trübe Schmerz,
Vielleicht schweigt dort mein jammernd Herz.

Ich will am Quellenbächlein stehn,
Will in die klaren Wellen sehn:
Vielleicht versenk' ich meinen Schmerz;
Dort schweigt ein Weilchen wohl mein Herz.

Ich will auf hohe Berge gehn,
Will weit durch ferne Fluren späh'n:
Vielleicht verliert sich dort mein Schmerz,
Vielleicht vergess' ich so mein Herz.

Ich will nach Blumen suchen gehn,
Will mich mit Kränzen schmücken schön,
In Blüten bergen meinen Schmerz:
Vielleicht betrüg' ich so mein Herz.

Ich will - ach nein, ich will nichts mehr
Die Welt ist trüb' und kalt und leer.

Luise Hensel

Lebenszweck

Hilflos in die Welt gebannt,
Selbst ein Rätsel mir,
In dem schalen Unbestand,
Ach, was soll ich hier?

- Leiden, armes Menschenkind,
Jede Erdennot,
Ringen, armes Menschenkind,
Ringen um den Tod.

13.03.2010

Der Zipferlake

Verdaustig war's, und glaße Wieben
rotterten gorkicht im Gemank.
Gar elump war der Pluckerwank,
und die gabben Schweisel frieben.

»Hab acht vorm Zipferlak, mein Kind!
Sein Maul ist beiß, sein Griff ist bohr.
Vorm Fliegelflagel sieh dich vor,
dem mampfen Schnatterrind.«

Er zückt' sein scharfgebifftes Schwert,
den Feind zu futzen ohne Saum,
und lehnt' sich an den Dudelbaum
und stand da lang in sich gekehrt.

In sich gekeimt, so stand er hier,
da kam verschnoff der Zipferlak
mit Flammenlefze angewackt
und gurgt' in seiner Gier.

Mit Eins! und Zwei! und bis auf's Bein!
Die biffe Klinge ritscheropf!
Trennt' er vom Hals den toten Kopf,
und wichernd sprengt' er heim.

»Vom Zipferlak hast uns befreit?
Komm an mein Herz, aromer Sohn!
Oh, blumer Tag! Oh, schlusse Fron!«
So kröpfte er vor Freud'.

Verdaustig war's, und glaße Wieben
rotterten gorkicht im Gemank.
Gar elump war der Pluckerwank,
und die gabben Schweisel frieben.

Christian Enzensberger
(Übersetzung aus "Alice hinter den Spiegeln" - Lewis Carroll)

Die Nacht

Wie schön, hier zu verträumen
Die Nacht im stillen Wald,
Wenn in den dunklen Bäumen
Das alte Märchen hallt.

Die Berg im Mondesschimmer
Wie in Gedanken stehn,
Und durch verworrne Trümmer
Die Quellen klagend gehn.

Denn müd ging auf den Matten
Die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.

Das ist das irre Klagen
In stiller Waldespracht,
Die Nachtigallen schlagen
Von ihr die ganze Nacht.

Die Stern gehn auf und nieder -
Wann kommst du, Morgenwind,
Und hebst die Schatten wieder
Von dem verträumten Kind?

Schon rührt sichs in den Bäumen,
Die Lerche weckt sie bald -
So will ich treu verträumen
Die Nacht im stillen Wald.

Joseph von Eichendorff

Mondlicht

Wie liegt im Mondenlichte
Begraben nun die Welt;
Wie selig ist der Friede,
Der sie umfangen hält!

Die Winde müssen schweigen,
So sanft ist dieser Schein;
Sie säuseln nur und weben
Und schlafen endlich ein.

Und was in Tagesgluten
Zur Blüte nicht erwacht,
Es öffnet seine Kelche
Und duftet in die Nacht.

Wie bin ich solchen Friedens
Seit lange nicht gewohnt!
Sei du in meinem Leben
Der liebevolle Mond!

Theodor Storm

Traum

Aus einem argen Traum aufgewacht
Sitz ich im Bett und starre in die Nacht

Mir graut vor meiner eigenen Seele tief,
Die solche Bilder aus dem Dunklen rief.

Die Sünden, die ich da im Traum getan,
Sind sie mein eigen Werk? Sind sie nur Wahn?

Ach, was der schlimme Traum mir offenbart,
Ist bitter wahr, ist meine eigene Art.

Aus eines unbestochenen Richters Mund
Ward mir ein Flecken meines Wesens kund.

Zum Fenster atmet kühl die Nacht herein
Und schimmert nebelhaft in grauem Schein.

O süßer, Lichter Tag, komm du heran
Und heile, was die Nacht mir angetan!

Durchleuchte mich mit deiner Sonne, Tag,
Daß wieder ich vor dir bestehen mag!

Und mach mich, ob's auch in Schmerzen sei,
Vom Grauen dieser bösen Stunde frei!

Hermann Hesse

Wollust

Nichts als strömen, nichts als brennen,
Blindlings in das Feuer rennen,
Hingerissen, hingegeben
Der unendlichen Flamme: Leben!
Plötzich aber, bang durchzittert,
Sehnt aus dem unendlichen Glück
Angstvoll sich das Herz zurück,
Das den Tod im Lieben wittert...

Hermann Hesse

Sommernacht

Nun in dämmergrauem Dunkel
Ruht von heissem Tag die Flur -
In verglimmendem Gefunkel
Schwand der Sonne letzte Spur,

Schlummer hält die Welt umschlungen -
Nebel steigt im Wiesengrund,
Was am lauten Tag verklungen,
In der Stille wird es kund.

Sanftes Flüstern - zartes Weben -
Fern von Vogelruf ein Ton:
Herz, was soll dein leises Beben,
Ach, vergessen glaubt ich's schon!

Nicht begräbt es Zeit und Wille,
Was dir einst das Herz bewegt -
Es befällt dich eine Stille,
Wo der alte Ton sich regt!

Heinrich Seidel

Der Schädel

Vor mir steht im Lampenschein
Eines Schädels Hohlgebein
Nur noch schwarze Schatten träumen
In den leeren Augenräumen
Seines bleichen Angesichts.
Die einst hier den Tag getrunken,
Ach verloschen sind die Funken,
Eine Welt ist hier versunken!
Und aus Höhlen, leer des Lichts,
Finster schaut ein todtes Nichts!

Bleicher Schädel, lebensbar,
Künde mir, was einstmals war!
Standest du in schwarzen Locken?
Prangtest du in goldnen Flocken?
Trugst du einst ein flatternd Band?
Schmückte dich des Helmes Blinken?
Bunter Federn heitres Winken?
Drückten dich der Krone Zinken.
Eh' du kamst in jenes Land,
Draus den Rückweg keiner fand?

Bleicher Schädel, leer und hohl,
Höre meine Fragen wohl!
Welche waren die Gedanken,
Die von deinem Hirne tranken?
Suchtest du der Minne Sold?
Grubst du in der Weisheit Schränken?
Stand der Sinn dir nach den Schänken?
Ging auf edle That dein Denken?
Giertest du nach Ruhm und Gold? -
Alles ist dahin gerollt!

Meinen Fragen hörest du
Mit dem bleichen Grinsen zu.
Deinen Kiefern schwand das Leben
Und du kannst nicht Antwort geben;
Aber was dein Grinsen sagt,
Dieses will ich treu berichten:
Grausam tödtliche Geschichten
Von Verzichten und Vernichten,
Drob die Welt von Anfang klagt
Und des Menschen Herz verzagt.

Menschenschicksal ist wie Glas,
Menscheglück wie Blum' und Gras.
Tückisch wogen Meeresfluthen,
Gierig lauern Feuersgluthen,
Und irn Dunkeln wühlt's und webt.
Wo des Krieges Stürme fuhren,
Folgt die Pest den blut'gen Spuren;
Hungersnoth versehrt die Fluren! -
Selbst die feste Erde bebt
Und verschlingt, was liebt und lebt!

Menschenwerth ist eitel Rauch.
Kennst du des Erobrers Brauch?
Eine Krone sieht er blinken
Und den Siegesapfel winken
An des Ruhmes stolzem Baum,
Und umjubelt von den Tröpfen.
Die aus seiner Gnade schöpfen,
Wirft er sich mit Menschenköpfen
Kühn herab den goldnen Traum!
Menschenwerth ist eitel Schaum!

Und was nützt, dass Einer lag
Im geschmückten Sarkophag?
Einstmals kommen sie in Schaaren,
Wilde, plündernde Barbaren,
Gierig auf Geschmeid' und Gold.
Und die Beile hört man pochen,
Und die Ruhstatt wird erbrochen,
Und man wühlt in Wust und Knochen!
In den Staub der Strasse rollt,
Dem man Ehrfurcht einst gezollt!

Ach, vielleicht in Jahr und Tag
Sieht ein Mensch von meinem Schlag
Meinen Schädel vor sich ragen,
Und er fragt ihn all die Fragen,
Die ich dir, du Schädel, thu'.
"Die einst hier den Tag getrunken,
"Ach, verloschen sind die Funken,
"Eine Welt ist hier versunken! -
Und in stiller Todesruh'
Grins' ich ihm, wie du mir, zu! -

Heinrich Seidel

Einsamkeit

Mondesglanz auf feuchten Wiesen,
Auf dem stillen Nebelsee,
Bäume ragen, dunkle Riesen,
Wo ich einsam sinnend steh!

Vogelruf aus tauigen Feldern,
Wasserrauschen fern im Grund,
Tiefes Schweigen in den Wäldern,
Sternenflimmer hoch im Rund.

Und mein Blut geht hin und wieder,
Und vorüber rinnt die Zeit,
Schauer senkt sich auf mich nieder
Vor dem Hauch der Einsamkeit.

Heinrich Seidel

02.03.2010

Vom Schweigen und Verstummen...

Wir besitzen eine ganz besondere Gabe!
Abgesehen von blendendem Aussehen und begnadetem Schreibtalent, beherrschen wir eines an der Grenze zur Genialität: Schweigen!
Nun, mit Schweigen ist nicht etwa "nicht reden" gemeint, im Gegenteil, ich schaffe immer eine Menge zu reden, ohne dabei das Geringste zu sagen!
Hinzu kommt die Qualifikation zur Koryphäe in harmlosem Aussehen, ungeachtet der Tatsache dass die Schwachmaten in mir den Drang verspüren sich vor den nächsten ICE zu stürzen.
Ich bin mir nahezu sicher sehr bald zu platzen. Und anstatt damit irgendwie konstruktiv umzugehen, stelle ich mir jetzt im Moment ausgiebig vor, wie nächsten Donnerstag in BO meine Innereien den Teppich und mein berstender Schädel die weiße Wand hinter mir versauen.
Ich schweife ab. Auch das berechtigt mich in dieser Disziplin zu einer Professur.

Fast erwarte ich, sollte ich jemals die Zähne auseinander kriegen, eine Parade mit Pauken und Trompeten, just in dem Moment, in dem mir bisher Unaussprechliches über die Lippen gelangt. Die Angst davor ist grenzenlos. In Befürchtung dabei den Verstand zu verlieren, in Erwartung von totalem Kontrollverlust, halte ich die Klappe und ersticke langsam aber sicher daran.

Die Angst - Einerseits die Gewissheit "es wird etwas ganz Schlimmes passieren", so bald wir "es wagen zu verraten", ist nicht einmal annähernd vergleichbar mit der Angst zu einem stammelnden kleinen und verletzlichem Kind zu mutieren und der, das Gegenteil wäre der Fall. Die Befürchtung ohne Einfluss darauf die aggressive obszöne Schlampe rauszukehren, setzt alldem nämlich noch zusätzlich die Krone auf. Und zwar so sehr dass mir jetzt und hier im Moment der Kopfschuss droht, der mich das Stammeln auf die Tastatur verlegen lässt. Na gut. Für heute erstmal der letzte Versuch...

(2010)

165 Minuten Leben - 21.02.10

Wochenende - Achterbahn, Sonntagnachmittag, der Absturz naht. Entspannungsversuche zwischen Zeittotschlagen und krampfhaftem Beschäftigungszwang. Resignation wegen des Ernährers, der sich ungeplant und entgegen seiner Ankündigung verpisst. Nachdem bereits gestern die unverhoffte Lust auf einen Besuch im Ruhr Museum wegen erheblicher Verspätung nach dem samstägigen ungeplanten Verpissen des Ernährers eins auf den Deckel bekam.

Rumhängen im Netz, Abgrasen von Skillslisten und Schwerstarbeit im Kampf mit dem Dämonenclub, der sich anfühlt als müsse man mit einer Hand 20 Korken gleichzeitig unter Wasser drücken. Stichwort Wasser, abtauchen in die viel zu heiße Badewanne, endlich mal wieder möglich da keine akuten Massakrierungszeugnisse im Weg. Zwischendurch das ungewohnte Gefühl dass da doch irgendwann mal mehr gewesen ist.

Immer wieder grinsen mich Verzweiflung und Selbstverachtung erst vom Wannenrand und später vom Schreibtisch aus blöde an.
Als der Mediaplayer anfängt ihnen auch noch unterstützend die passenden Lieder zuzuspielen, mir die Trauer die geballte Faust in den Magen rammt und nach den Klingen schreit, purzelt mir ein ungewohnter Impuls durch den Kopf. Raus hier! Antriebsgeschwängert schnapp ich den Dackel und den Autoschlüssel und flüchte aus meiner Burg. Beim Verlassen des Hausflurs erscheint auf meiner Schulter eine schwarzgewandete grinsende Gestalt. Die Nachbarin von gegenüber guckt mich ganz skeptisch an als ich kichernd über die Straße laufe. Ich kann sie verstehen, schließlich kann sie nicht wissen dass Dr. R. mit seinem Stoppschild, "Sie müssen sich pflegen" leiernd auf meiner Schulter sitzt.

Die Luft riecht nach milder Vor-Vorfrühlingsluft und macht den Kopf irgendwie leicht. Das Gaspedal fühlt sich gut an, beachtenswert dass sich überhaupt was fühlt. Almana Shchora gröhlen mir "Habricha" in die Ohren und braten der ganzen fiesen Bagage so feste eins über, dass der Selbsthass hinterm Heck auf den Asphalt klatscht. Ob ich noch mal rückwärts drüber fahren soll? Schaff ich noch nicht.

Keine Ahnung wohin, der Weg ist das Ziel. Dr. R. nickt mir eifrig zustimmend zu und wirft ein "Aus Spaß an der Freud" hinterher ;)
Beim Runterschalten vor der Kurve das nächste Wunder, Kopf und Körper erscheinen irgendwie fast eins. Die dämlichen Dämonen gucken natürlich zwischendurch wieder rein. Schleichend und heimlich bohren sich Wehmut und Melancholie durch den Sitz, erinnern mich daran dass es Zeiten gab in denen es häufiger so war, alle Straßen waren mein. Doch die Vernunft schickt ein "Aber" hinterher und rückt die Wirklichkeit wieder zurecht und sie hat Recht, hat doch nie alles gestimmt. Der Rückweg von Bochum ist mir irgendwie zu kurz, der Dackel guckt sehnsüchtig zwischen die Bäume neben uns. Eh ich mich verseh steh ich auf dem weichen matschigen Waldboden und halte die Nase in die Luft, die Sinne explodieren, da ist es, das Gefühl noch am Leben zu sein...

Dunkel zeichnen sich die kahlen Bäume vom grau-blauem Himmel ab, faszinierendes Spiel. Ich kann nicht aufhören sie anzustarren. Als ich nach Kaugummi suche, fällt mir die Kamera zwischen die Finger. Meine zweite Schulter wird plötzlich schwer. Von der Seite grinst Herr R. mich an. Gute Güte, ist es tatsächlich so weit gekommen dass ich mit dem Wattenscheider Klinikpersonal auf den Schultern durch die Wälder renn? Aber Recht hatter doch. Die Bäume sehen viel zu verlockend aus um sie undokumentiert zu lassen. Die ersten Bilder gefallen mir richtig gut. Was war das? Hab ich da etwa den Anflug von Zufriedenheit gespürt? Der Dackel wühlt schnaufend den Boden auf während ich es schaffe zwischen den mittlerweile schwarzen Baumkronen zu versinken und alles um mich rum zu vergessen.

Jetzt hab ich Blut geleckt, will mehr davon, will mitten drin sein in dieser sonderbaren außerburgischen Welt.
Die Entspannung guckt hinter der Scheibe vom Armaturenbrett hervor und versucht sich zaghaft durch die Dichtung zu quetschen. Noch eine Windung und sie hat es geschafft. Strahlend klettert sie auf meinen Schoß. Dr. R. tätschelt ihr von oben wohlwollend den Kopf.
Vom Antrieb angeschubbst biege ich vor der A40-Auffahrt einfach nicht nach Hause ab, da geht noch was. Ich müsste sowieso noch tanken...
Waghalsig und todesmutig stürze ich mich auf die Bahn, die Beklemmung bekommt von Dr. R. einen unsanften Tritt. Mit Pink Floyd's "Hey You" rolle ich entrückt der untergehenden Sonne entgegen. Die Wolken malen Bilder an den orange-grauen Himmel. Sämtliche Dämonen sitzen neben den Dackel gequetscht auf dem Beifahrersitz und starren mich unverhohlen an. Mir egal, ich genieße den Augenblick.

Als die Umgebung sich im Zwielicht tiefschwarz vom Himmel abhebt beschäftigt mich die Frage wieviele solcher Momente hab ich mittlerweie verpasst? Nebenbei fällt mir die Tankstelle wieder ein. 10 Ausfahrten nach der geplanten fahr ich raus, gefährlicher Weg, die Wehmut zupft ungeduldig an meinem Ärmel. Ich fliehe an der Tanke vor ihr und dem Rest der Bande aus dem Auto. Als ich wieder einsteige haben sie sich lauernd in den Fußraum verzogen. Ich schaffe es sie zu ignorieren, während Dr. R. und Herr R. sich hinter meinem Rücken die Hände reiben. Der Rückweg ist angenehm, die Straßen frei. Die Sonne ist weg und hat die dämlichen Dämonen mit hinter die Datumsgrenze gezogen. Dämlich grinsend komm ich zuhause an.

165 Minuten Leben und ich war dabei... XD