29.11.2008

Die Entwicklung der Menschheit

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.

Erich Kästner

Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagt, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend sassen sie immer noch dort.
Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

Erich Kästner

Humorlos

Die Jungen
werfen
zum Spass
mit Steinen
nach Fröschen

Die Frösche
sterben
im Ernst

Erich Fried

28.11.2008

Marie von Ebner-Eschenbach

Wirklich gute Freunde sind Menschen, die uns ganz genau kennen, und trotzdem zu uns halten.

Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit.

Man muss schon etwas wissen, um verbergen zu können, dass man nichts weiß.

Eltern verzeihen ihren Kindern die Fehler am schwersten, die sie ihnen selbst anerzogen haben.

Was nennen die Menschen am liebsten dumm? Das Gescheite, das sie nicht verstehen.

Über das Kommen mancher Leute tröstet uns nichts als die Hoffnung auf ihr Gehen.

Wir unterschätzen das, was wir haben und überschätzen das, was wir sind.

Wer an die Freiheit des menschlichen Willens glaubt, hat nie geliebt und nie gehaßt.

So mancher meint ein gutes Herz zu haben und hat nur schwache Nerven.

Ausnahmen sind nicht immer Bestätigung der alten Regel. Sie können auch Vorboten einer neuen Regel sein.

Was andere uns zutrauen, ist meist bezeichnender für sie als für uns.

Wer sich seiner eigenen Kindheit nicht mehr deutlich erinnert, ist ein schlechter Erzieher.

Der Gedanke an die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge ist ein Quell unendlichen Leids - und ein Quell unendlichen Trostes.

Lieber von einer Hand, die wir nicht drücken möchten, geschlagen, als von ihr gestreichelt werden.

Jabberwocky

`Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe:
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.

"Beware the Jabberwock, my son!
The jaws that bite, the claws that catch!
Beware the Jubjub bird, and shun
The frumious Bandersnatch!"

He took his vorpal sword in hand:
Long time the manxome foe he sought --
So rested he by the Tumtum tree,
And stood awhile in thought.

And, as in uffish thought he stood,
The Jabberwock, with eyes of flame,
Came whiffling through the tulgey wood,
And burbled as it came!

One, two! One, two! And through and through
The vorpal blade went snicker-snack!
He left it dead, and with its head
He went galumphing back.

"And, has thou slain the Jabberwock?
Come to my arms, my beamish boy!
O frabjous day! Callooh! Callay!'
He chortled in his joy.

`Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe;
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.

(Lewis Caroll - Through the Looking-Glass and What Alice Found There, 1872)

Lewis Carroll

Der Weg, den du einschlägst, hängt in erster Linie davon ab, wohin du gehen willst.

Tapfere Männer sind wie Wirbeltiere: Außen weich, aber innen mit einem harten Kern.

Beginne am Anfang" sagte der König ernst, "und fahre fort, bis du ans Ende kommst: dann höre auf."

"Den Schreck dieses Augenblicks werde ich nie vergessen", fuhr der König fort. "Du wirst ihn vergessen", sagte die Königin, "es sei denn, du errichtest ihm ein Denkmal."

Matthias Claudius

Sage nicht immer, was Du weißt, aber wisse immer, was Du sagst.

Die Welt ist ein Schauplatz. Du kommst, siehst und gehst vorüber.

Beurteile einen Menschen lieber nach seinen Handlungen als nach seinen Worten; denn viele handeln schlecht und sprechen vortrefflich.

Die Freiheit besteht darin, dass man alles tun kann, was einem anderen nicht schadet.

Otto von Bismarck

Wenn man sagt, daß man einer Sache grundsätzlich zustimmt, so bedeutet es, daß man nicht die geringste Absicht hat, sie in der Praxis durchzuführen.


Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.


Verfallen wir nicht in den Fehler, bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Verstand oder an seinem guten Willen zu zweifeln.


Wenn irgendwo zwischen zwei Mächten ein noch so harmlos aussehender Pakt geschlossen wird, muß man sich sofort fragen, wer hier umgebracht werden soll.


Gegen die Regierung mit allen Mitteln zu kämpfen ist ja ein Grundrecht und Sport eines jeden Deutschen.

Albert Einstein

Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren.


Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.


Falls Gott die Welt geschaffen hat, war seine Hauptsorge sicher nicht, sie so zu machen, dass wir sie verstehen können.


Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.


Es ist schwieriger, eine vorgefaßte Meinung zu zertrümmern als ein Atom.


Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein.


Manche Männer bemühen sich lebenslang, das Wesen einer Frau zu verstehen. Andere befassen sich mit weniger schwierigen Dingen z.B. der Relativitätstheorie.


Wenn die meisten sich schon armseliger Kleider und Möbel schämen, wieviel mehr sollten wir uns da erst armseliger Ideen und Weltanschauungen schämen.

Das Duell

Ich sah eure Blicke, voll Begierde, voller Lust;
ich sah die Gesten, ich fand die Briefe, sah den Kuß;
ich sah euch tanzen - ihren Blick, wenn sie dich sieht,
ich spür ihr Zaudern und sie des Nachts sich mir entzieht.
Ich werd's nicht lassen, nie will ich sie vermissen, nie sie dein,
nun wirst Du kämpfen müssen.

Wähle einen Ort, wähl eine Zeit und auch die Waffen,
lauf nicht fort, ich werd nicht kommen dich zu schonen,
wirst dein Leben lassen.

Als der neue Tag erwacht, die Klingen kreuzen,
Kontrahenten schlagen sich, mit Worten sie sich reizen,
Schaulust zieht die Leute an, durch die Menge geht ein Beben,
Stoß, Parade, Gegenstoß, und es erlischt ein Leben.

Deinen Sohn getötet hast du, wie geblendet kann man sein,
glaubst Du Tor, dass du linderst deine Pein?
Ich nicht dein Eigen, denn noch immer bin ich frei,
du bringst Verderben für eine kleine Liebelei.
Glaubst du nun wirklich für solchen Frevel ich dein Lohn?
Du mich verloren und auf immer gar den Sohn.

Wähle einen Ort, wähl eine Zeit
und auch die Waffen, lauf nicht fort,
ich werd nicht kommen dich zu schonen,
wirst dein Leben lassen.

Als der neue Tag erwacht, die Klingen kreuzen,
Kontrahenten schlagen sich, mit Worten sie sich reizen,
Schaulust zieht die Leute an, durch die Menge geht ein Beben,
Stoß, Parade, Gegenstoß, und es erlischt ein Leben.

Schandmaul

Übers Jahr

Spuren im Schnee führen an dir vorüber
frostklare Winde im Mondenschein
endlose Stunden voll gläsernem Schweigen
wachst du beharrlich in tiefer Nacht

Bricht dann die Stille
zerfließt ein verschlafenes, karges Verlangen
leise verweht sich der Nebel
endlich voller Licht die Welt

Tiefgrüne Wiesen, schattenkühle Wälder
blühen in der Gunst des Sonnenspiels
reifende Ähren in wiegendem Tanze
flüstern ihre Weisen dem Winde zu

Bricht dann die Stille
neuerlich hernieder, mit diesigem Hauche...
leise erhebt sich der Nebel
schließlich tritt die Nacht in die Welt

Wieder sind da Spuren
im Schnee bei den Bäumen
der Mond steht alleine
in kalter Nacht

Es ist eine Stille
ganz tiefe Ruhe
allmächtiges Schlafen
leise verliert sich das Leben
wartet auf den neuen Tag

Wolfsheim

Winternacht

Vor Kälte ist die Luft erstarrt,
Es kracht der Schnee von meinen Tritten,
Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart;
Nur fort, nur immer fortgeschritten!
Wie feierlich die Gegend schweigt!
Der Mond bescheint die alten Fichten,
Die, sehnsuchtsvoll zum Tod geneigt,
Den Zweig zurück zur Erde richten.
Frost! friere mir ins Herz hinein,
Tief in das heißbewegte, wilde!
Dass einmal Ruh mag drinnen sein,
Wie hier im nächtlichen Gefilde!
Nikolaus Lenau

Schweigen

Über den Wäldern schimmert bleich
Der Mond, der uns träumen macht,
Die Weide am dunklen Teich
Weint lautlos in die Nacht.
Ein Herz erlischt - und sacht
Die Nebel fluten und steigen -
Schweigen, Schweigen!
Georg Trakl

Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst.

Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis die Wälder,
so sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorff

Die Kinder im Schnee

Ein Winterabend still und kalt. -

Drei Kinder wandern durch den Wald.

Sie gingen schon oft den Weg allein -
Heut flimmert der Mond mit irrem Schein.

Der Pfad, der sonst so kurz nach Haus, -
heut mündet er nimmer zum Wald hinaus.

Die kleinen Beinchen schreiten voran.
Da ragt empor der finstre Tann.

Sie laufen zurück und hin und her -
Sie finden im Schnee den Weg nicht mehr.

Es weinen die Kleinsten, wohl irrten sie weit.
Kalt ist die Nacht und Schlafenszeit!

Sieh dort, unter Wurzeln ein trocknes Hohl,
Da bettet das Schwesterchen beide wohl.

Trägt Moos und Laub zu ihrer Ruh
Und deckt mit dem eignen Tüchlein sie zu.

Die Nacht ist kalt, vom Mond erhellt, -
Es funkeln die Sterne am Himmelszelt.

Man hat sie gesucht mit Rufen und Schrein,
Man hat sie gefunden beim Morgenschein.

Die beiden Kleinen, sie schlafen fest,
Aneinandergeschmiegt im warmen Nest.

Den Arm gerafft voll Laub und Moos,
So fand man die andre bewegungslos.

So lag sie im Schnee - die Wangen rot,
Die hatte geküsst der eisige Tod.

Heinrich Seidel

Die junge Mutter

Sie hat ein Kind geboren,
Zu höchster Lust in tiefstem Leid,
Und ist nun ganz verloren
In seine stumme Lieblichkeit.
Es blüht zwei kurze Tage,
So dass sie's eben küssen mag,
Und ohne Laut und klage
Neigt es sein Haupt am dritten Tag.
Und wie es still erblasste,
So trägt sie still den heil'gen Schmerz,
Und eh' sie's ganz noch fasste,
Dass es dahin ist, bricht ihr Herz.
Der mit dem Lilienstängel
Sonst tritt aus einem finstern Tor,
Er ging, der Todesengel,
aus ihrem eignen Schoß hervor.
Friedrich Hebbel

Das Kind

Die Mutter lag im Totenschrein,
Zum letztenmal geschmückt;
Da spielt das kleine Kind herein,
Das staunend sie erblickt.
Die Blumenkron' im blonden Haar
Gefällt ihm gar zu sehr,
Die Busenblumen, bunt und klar,
Zum Strauß gereiht, noch mehr.
Und sanft und schmeichelnd ruft es aus:
"Du liebe Mutter, gib
Mir eine Blum' aus deinem Strauß,
Ich hab' dich auch so lieb!"
Und als die Mutter es nicht tut,
Da denkt das Kind für sich:
“Sie schläft, doch wenn sie ausgeruht,
So tut sie's sicherlich.“
Schleicht fort, so leis' es immer kann,
Und schließt die Türe sacht
Und lauscht von Zeit zu Zeit daran,
Ob Mutter noch nicht erwacht.
Friedrich Hebbel

Das sterbende Kind

Wie doch so still dir am Herzen
Ruhet das Kind!
Weiß nicht, wie Mutterschmerzen
So herbe sind.
Auf Stirn und Lippen und Wangen
Ist schon vergangen
Das süße Rot;
Und dennoch heimlicherweise
Lächelt es leise -
Leise
Küsset der Tod.

Emanuel Geibel

Was will ich mehr!

Noch halt mit beiden Händen ich
Des Lebens schöne Schale fest,
Noch trink und kann nicht enden ich
Und denk nicht an den letzten Rest.
»Doch einmal wird die Schale leer,
Die letzte Neige schlürftest du.«
So trank ich doch, was will ich mehr,
Dem Tod ein volles Leben zu.
Gustav Falke

Abendempfindung

Abend ist's, die Sonne ist verschwunden,
Und der Mond strahlt Silberglanz;
So entfliehn des Lebens schönste Stunden,
Fliehn vorüber wie im Tanz.

Bald entflieht des Lebens bunte Szene,
Und der Vorhang rollt herab;
Aus ist unser Spiel, des Freundes Träne
Fließet schon auf unser Grab.

Bald vielleicht (mir weht, wie Westwind leise,
Eine stille Ahnung zu),
Schließ ich dieses Lebens Pilgerreise,
Fliege in das Land der Ruh.

Werdet ihr dann an meinem Grabe weinen,
Trauernd meine Asche sehn,
Dann, o Freunde, will ich euch erscheinen
Und will himmelauf euch wehn.

Schenk auch du ein Tränchen mir
Und pflücke mir ein Veilchen auf mein Grab,
Und mit deinem seelenvollen Blicke
Sieh dann sanft auf mich herab.
Weih mir eine Träne, und ach! schäme
dich nur nicht, sie mir zu weihn;
Oh, sie wird in meinem Diademe
Dann die schönste Perle sein!

Joachim Heinrich Campe

Auf den Tod eines Kindes

Du kamst, Du gingst mit leiser Spur,
Ein flüchtiger Gast im Erdenland,
Woher? Wohin? Wir wissen nur:
Aus Gottes Hand in Gottes Hand.

Ludwig Uhland

Jean Paul

Die Besorgnis, falsch zu scheinen, macht, daß man es scheint. Daher sieht bei einem Argwöhnischen ein Aufrichtiger halb wie ein falscher aus.


Um zur Wahrheit zu gelangen, sollte jeder die Meinung seines Gegners zu verteidigen suchen.


Nichts macht die Menschen vertrauter und gegeneinander gutgesinnter als gemeinschaftliche Verleumdung eines dritten.


Die Leute hassen am wenigsten, die ihren Haß in Spott und Laune auslassen.


Denken lernt man nicht an Regeln zum Denken, sondern am Stoff zum Denken.


Ich habe nie eine einzige Bemerkung allein gemacht, sondern es fiel mir allezeit noch eine zweite ein.


Ich bedaure nichts, was ich auf der Erde verloren, keine Jugend und keine Freude - außer dem Verlust der hohen Vorstellung, die ich von allen diesen gehabt.


Man verdirbt unter Leuten, die einen nicht übertreffen.


Jeder hat in seiner Jugend etwas von einem poetischen Genie, seine Narrheit und seine Entzückung; - das poetische Genie selbst aber lebt in einer ewigen Jugend.


Die Sucht, seinen Charakter zu zeigen, sieht oft ebenso falsch aus als die, ihn zu verbergen

Oscar Wilde

Der nationale Haß ist immer dort am stärksten, wo's um die Kultur am schwächsten bestellt ist.

Ich bin der einzige Mensch auf der Welt, den ich gerne gründlich kennen lernen würde, aber ich sehe gerade jetzt keine Möglichkeit dazu. 

Auf seine eigene Art zu denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht auf seine eigene Art denkt, denkt überhaupt nicht. 

Es kommt darauf an, den Körper mit der Seele und die Seele durch den Körper zu heilen.

Arthur Schopenhauer

Stachelschwein-Gleichnis

So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft, aus der Leere und Monotonie des eigenen Innern entsprungen, die Menschen zueinander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stoßen sie wieder voneinander ab.


Ganz er selbst sein darf jeder nur, solange er allein ist. Wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit; denn nur wenn man allein ist, ist man frei!


Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.


Die eigene Erfahrung hat den Vorteil vollkommener Gewissheit.


All unser Übel kommt daher, dass wir nicht allein sein können.
Alle Formen nimmt die Geistlosigkeit an, um sich dahinter zu verstecken: sie verhüllt sich in Schwulst, in Bombast, in den Ton der Überlegenheit und Vornehmigkeit und in hundert anderen Formen.


Aller Eigensinn beruht darauf, daß der Wille sich an die Stelle der Erkenntnis gedrängt hat.


In Deutschland ist die höchste Form der Anerkennung der Neid.
Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand.


Der einzige Mann, der wirklich nicht ohne Frauen leben kann, ist der Frauenarzt


Die Freunde nennen sich aufrichtig, die Feinde sind es.


Viele verlieren den Verstand deshalb nicht, weil sie keinen haben.


Jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz seyn könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu seyn.
(Parerga und Paralipomena)


In unserem monogamischen Weltteile heißt heiraten seine Rechte halbieren und seine Pflichten verdoppeln.
(Parerga und Paralipomena II, 28, 370)
Bescheidenheit bei mittelmäßigen Fähigkeiten ist bloße Ehrlichkeit; bei großen Talenten ist sie Heuchelei.


Das Leben kann als ein Traum angesehen werden und der Tod als Erwachen.


Die Menschen sind wesentlich böse, wesentlich unglücklich, wesentlich dumm.


Die Perfektion der Mittel und die Verwirrung der Ziele - das scheint unsere Zeit zu charakterisieren.


Die vermeintliche Rechtlosigkeit der Tiere, der Wahn, dass unser Handeln gegen sie ohne moralische Bedenken sei, ist eine geradezu empörende Barbarei des Abendlandes. Die Tiere sind kein Fabrikat zu unserem Gebrauch. Nicht Erbarmen, sondern Gerechtigkeit ist man den Tieren schuldig.


Die Wilden fressen einander - die Zahmen betrügen einander.


Düsterer Pessimismus? Das Gegenteil anzunehmen wäre ruchloser Optimismus.

Allein

Es führen über die Erde
Strassen und Wege viel,
Aber alle haben
Dasselbe Ziel

Du kannst reiten und fahren
Zu zwein und zu drein,
Den letzten Schritt
Mußt du gehen allein.

Drum ist kein Wissen
Noch Können so gut,
Als daß man alles Schwere
Alleine tut.

Hermann Hesse

08.11.2008

Ebadi, Shirin - Mein Iran


Aus der Amazon.de-Redaktion
Mit Mein Iran hat die iranische Rechtsanwältin und Hochschullehrerin Shirin Ebadi mehr als "nur" eine Autobiografie vorgelegt. Indem die Regimekritikerin ihren Lebensweg nachzeichnet, gewährt sie zugleich tiefe Einblicke in das politische und gesellschaftliche System des schiitischen "Gottesstaates".

Die Mehrzahl der iranischen Akademiker ist weiblich. In staatlichen Ämtern indes wird man vergebens nach einer Frau Ausschau halten. 1979 hatten die im Zuge der islamischen Revolution an die Macht Gekommenen nichts Eiligeres zu tun, als die wenigen Frauen daraus schleunigst zu entfernen. So auch Shirin Ebadi, die 1975 als erste weibliche Richterin an das Teheraner Gericht berufen worden und schnell zu dessen Vorsitzenden aufgestiegen war. Sich entschieden für das Recht auch gegen die herrschenden Mullahs und deren Gesetz einzusetzen, hat man der Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2003 indes nicht austreiben können.

Ebadis Bemühen um eine Reform der iranischen Gesellschaft hat sie zwischenzeitlich nicht nur auf die Liste eines Tötungskommandos der Revolutionsregierung, sondern auch ins Gefängnis gebracht. Trotzdem hat sie den Iran nicht verlassen. Dazu liebt sie ihr Land zu sehr. Und diese Liebe ist es auch, aus der sie die Kraft bezieht, gegen alle Widerstände weiter für ihre Überzeugung zu kämpfen. Frauen wie sie machen Hoffnung, dass der Iran jenseits des nationalistischen Islamismus, der nach den Jahren vorsichtiger Reformen seit der Wahl von Präsident Ahmadinedschad wieder die Oberhand gewonnen zu haben scheint, eine Zukunft hat. Ein leises, kluges, unbedingt lesenswertes Buch. -- Andreas Vierecke

Kurzbeschreibung
Mit nicht einmal 30 Jahre wurde Shirin Ebadi als erste Frau im Iran zur Richterin ernannt und übernahm schließlich den Vorsitz des Teheraner Gerichts. 1979 wurde sie im Zuge der islamischen Revolution ihres Amtes enthoben und zur Sekretärin degradiert.Sie entschloss sich, Anwältin zu werden. Im Jahr 2000 wurde sie aufgrund ihrer Tätigkeit als Verteidigerin vor Gericht angeklagt. Doch weder Einzelhaft noch Berufsverbot konnten Shirin Ebadi von ihrem Kampf für Freiheit und Menschenrechte abhalten. Ihr besonderes Engagement gilt dabei den Rechten von Frauen und Kindern. Ein dramatisches Leben zwischen Verfolgung, Demütigung und Verhaftung und das beeindruckende Zeugnis politischen Muts und Engagements: Das Buch der ersten Richterin des Iran und der ersten muslimischen Friedensnobelpreisträgerin.

11.09.2008

Battlestar Galactica - Das Virus

Titel: Das Virus
Serie: Battlestar Galactica
OT: BATTLESTAR GALACTICA: Unity
Autor: Steven Harper
Ü: Claudia Kern
Seiten: 299
ISBN: 978-3-8332-1643-5
Verlag: PaniniBooks, 2007
Rezension: Frank Drehmel

Als die Überlebenden des Vernichtungskrieges in den Trümmern eines zylonischen Basissterns eine Rettungskapsel entdecken, ist die Verwirrung zunächst groß, da sich an Bord dieses Objektes der begnadete Sänger Peter Attis sowie eine Wächterin, die Version des Zylonen-Modells Nummer 8, befinden.

Zweifel an Attis’ menschlicher Identität können dank Gajus Baltars und insbesondere Kara Thraces Fürsprache schnell zerstreut werden, denn die kleine Kara zählte früher - wie andere weibliche Crew-Mitglieder auch - zu den größten Fans des Sängers und weiß daher, mit einer Masse überflüssiger Details aus dessen Leben aufzuwarten.
Der Führung der Galactica kommt Attis’ Auftauchen im Grunde sogar recht, kann der Entertainer doch mit einem Live-Konzert für etwas Stimmung im trüben Flüchtlingsalltag sorgen.

Dieses ist um so nötiger, als der Bestand an Strahlungsmedikamenten sowie Antibiotika innerhalb der Flotte zur Neige geht und man daher gezwungen ist, trotz der allgegenwärtigen Bedrohung durch die Zylonen Station zu machen, um auf einem Planeten durch Ernten spezieller Algen für Nachschub zu sorgen.
Dass sich die “Toaster” erstaunlich ruhig verhalten, gibt aber nur wenig Anlass zur Freude, denn schon bald tauchen erste Krankheitsfälle in den Reihen der Menschen auf. Die Patienten beginnen zu fantasieren, können sich nicht mehr artikulieren, verlieren die Kontrolle über ihre Körperfunktionen, fallen ins Koma und sterben schließlich.

Schnell haben Dr. Cottle und Gaius Baltar Peter Attis als Überträger einer Seuche ausgemacht, die augenscheinlich von den Zylonen kreiert wurde. Immerhin liegt im Blute des Sängers die Heilung. Das Problem ist nur, dass Attis zwischenzeitlich zum Messias einer Sekte avancierte und mit Hilfe der aus ihrem Gefängnis ausgebrochenen Sharon Valerii von Bord der Galactica entführt wurde. Damit beginnt ein Wettlauf gegen das Virus und gegen die Maschinenwesen, die jederzeit auftauchen könnten.


Ich kann es nicht oft genug sagen: die BSG-TV-Show empfinde ich so erbaulich wie einen Furunkel am Arsch.
Im Gegensatz zur Show stellten die BSG-Romane immerhin eine erfreuliche oder wenigstens keine schlechte Leseerfahrung dar; bisher jedenfalls, denn mit “Das Virus” ist auch der belletristische Spin Off der Serie - bedauerlicherweise - ein deutliches Stück in Richtung “Regio Glutealis” gerückt.
Dass dieser Roman, dessen Handlung Mitte der zweiten Show-Staffel spielt, ohne Grundkenntnisse des Hintergrundes kaum genießbar ist, soll bei der Beurteilung keine Berücksichtigung finden, denn wer Franchise-Bücher liest, muss vorher wissen, worauf er sich einlässt.

Die eigentlichen Mängel liegen ganz woanders. An erster Stelle stehen die eindimensionalen, klischeehaften Charaktere, die - und hier verschenkt der Autor den Vorteil des Buches gegenüber dem Film - im Vergleich zur Serie nur eine minimale Vertiefung erfahren. Insbesondere Kara Thrace, die sich ständig ans nicht vorhandene Gemächt zu greifen scheint und Macho-Sprüche klopft, geht selbst jemandem, der keine Probleme mit starken Frauen hat, regelrecht auf die Eier.
Zweitens ist die Geschichte alles andere als originell, d.h. innovative oder gar interessante Ansätze sucht man vergeblich. Stattdessen gibt es eine drögen, nicht nur für BSG-Fans vorhersehbaren Mix aus Storyelementen, deren Bärte jeden Amischen vor Neid erblassen ließen. Erschwerend kommt hinzu, dass Harper seine Ideen staubtrocken und bar jeglichen Humors präsentiert, sich diese Ernsthaftigkeit aber in der soapig-platten Story selbst nicht widerspiegelt. Moralische Dilemmata, die sich aus dem Setting und der besonderen Situation der Flotte der Flüchtlinge ergeben, werden allenfalls angedeutet, in der Regel jedoch darf sich der Leser diese allein im stillen Kämmerlein zusammenbasteln.

Drittens und schlussendlich erweist sich Harper auch stilistisch als veritabler Dünnbrettbohrer. Ich bin mir bewusst, dass in Schriftstellerworkshops und Anleitungen für Möchtegern-Autoren regelmäßig die These “In der Kürze liegt die Würze” mit geradezu missionarischem Eifer propagiert wird; aber staccatoartig aneinandergereihte Mini-Sätze sowie Dialoge, bei denen man sich angesichts des verwendeten Wortschatzes und der - freundlich ausgedrückt - übersichtlichen Syntax fragt, ob da nicht doch Grundschüler am Radebrechen seien, lassen keine Lesefreude aufkommen.

Fazit: Eine vorhersehbare, religiös verquaste, einfallslose, humorlose und schlecht geschriebene Story. Fans der TV-Show werden wahrscheinlich selbst in dieser Dunkelheit einen hellen Schein erkennen.

09.09.2008

Weiss, Anne/ Bonner, Stefan - Generation Doof


Taschenbuch: 300 Seiten
Verlag: Bastei Lübbe; Auflage: 1. Aufl. (Februar 2008)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3404605969
ISBN-13: 978-3404605965

Kurzbeschreibung
Niklas glaubt, der Dreisatz wäre eine olympische Disziplin. Latoya kennt drei skandinavische Länder: Schweden, Holland und Nordpol. Und Tamara-Michelle hält den Bundestag für einen Feiertag. Einzelfälle? Mitnichten. Eine ganze Generation scheint zu verblöden. Der Staatsanwalt von nebenan erzieht seine Kinder mit der Spielkonsole. Germanistikstudenten sind der deutschen Sprache nicht mehr mächtig. Eine Karriere als Popstar erscheint dem Bäckerlehrling verlockender als eine solide Ausbildung. Dieses Buch geht der Frage auf den Grund, wie es wirklich um die Mütter, Väter und Bundeskanzler von morgen steht. Geschrieben haben es zwei Autoren, die mit der Generation Doof per Du sind. Denn es ist ihre eigene.

Klappentext
Supernannys, Stars und Sternchen, Prominente, die am PISA-Test scheitern - Deutschland scheint zu verblöden. Eine Karriere als Popstar erscheint jungen Leuten verlockender als eine solide Ausbildung. Dieses Buch geht der Frage auf den Grund, wie es wirklich um die Mütter, Väter und Bundeskanzler von morgen steht.

17.08.2008

Minck & Minck, totgepflegt


Titel: totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab
Taschenbuch: 288 Seiten
Verlag: Droste; Auflage: 3., Aufl. (März 2007)
ISBN-10: 3770012607
ISBN-13: 978-3770012602

Kurzbeschreibung
Kann es beim Bestatter zu viele Leichen geben? Wie bringt man einen Finnen dazu, mehr als drei Worte zu sagen? Ist man in einem Pyjama im Supermarkt underdressed oder kommt es auf die Accessoires an? Alles Fragen, die Maggie Abendroth nicht beantworten will. Sie hat definitiv andere Sorgen. Maggie ist 37, pleite und wohnt wieder in ihrer alten Heimat Bochum auf 22 qm. Ihr neuer Job als Aushilfssekretärin bei einem Beerdigungsinstitut stellt ihre Nerven zusätzlich auf eine harte Probe. Bei "Pietät Sommer" ist alles unheimlich: der schweigsame Kollege Herr Matti, ihr blasierter Chef Herr Sommer - und die tote Kundschaft im Keller sowieso. Als dann auch noch ihre Lieblingsorganistin für Trauerfeiern plötzlich verstirbt, steckt Maggie ihre Nase in Dinge, die sie eigentlich nichts angehen. Gemeinsam mit Freundin Wilma, Herrn Matti und Ex-Kommissar Kostnitz begibt sie sich auf Spurensuche.- Witzig, skurril und nichts für schwache Nerven.

Über den Autor
Edda Minck, Jahrgang 1958, und Lotte Minck, Jahrgang 1960, leben und arbeiten in Bochum. Beide sind durch viele verschiedene Berufe und Jobs in der Film- und Fernsehbranche gegangen, bevor sie sich Ende 2004 dazu entschlossen, Schreibtischtäterinnen zu werden.

28.07.2008

Keohane, Daniel G. - Das Grab des Salomon


Titel: Das Grab des Salomon

OT: Solomon’s Grave
Autor: Daniel G. Keohane
Ü: Michael Krug
Seiten: 352, Hardcover
ISBN: 978-3-902607-00-3
Verlag: Otherworld Verlag, 2007
Rezension: Frank Drehmel

Als Nathan Dinneck in die Stadt seiner Kindheit und Jugend, das amerikanische Provinzkaff Hillcrest, zurückkehrt, um dort als Baptisten-Prediger den alten Pastor Hayden abzulösen, hegt er Zweifel, ob er der Aufgabe gewachsen ist, den Freunden und Bekannten, den Leuten, die ihn schon als kleinen Hosenscheißer kannten, als Seelsorger zu dienen. Zudem plagen ihn seit einiger Zeit Träume und Visionen von einem dunklen Tempel und düsteren Engeln. Als guter Christ sieht er seine Berufung jedoch als Prüfung und übernimmt daher die Amtsgeschäfte seines Vorgängers ohne allzu großes Zögern.

Schnell wird ihm klar, dass in Hillcrest etwas Merkwürdiges vor sich geht. Insbesondere sein eigener Vater, der früher geradezu eine Verkörperung des Glaubens war, gibt sich sonderbar distanziert. Nathans Mutter führt dieses auf den neuen Umgang des alten Mannes zurück, der sich regelmäßig im neu gegründeten Hillcrest Men´s Club rumtreibt.

Als der junge Pastor der Angelegenheit nachgeht, trifft er auf Peter Quinn, den charismatischen Vorsitzenden des Clubs. Was Nathan nicht weiß: Quinn gehört der Sekte der Ammoniter an und möchte seinem dunklen Gott, Moloch, den Zugang zu dieser Welt ermöglichen. Dazu bedarf er jedoch einer der heiligsten Reliquien des Christentums, die Quinn irgendwo in Hillcrest vermutet. Dank seiner besondere suggestiven Fähigkeiten manipuliert der Ammoniter gezielt Personen, um einerseits Zweifel am christlichen Glauben zu säen und andererseits sein Geheimnis zu schützen.

Auch wenn Nathan in der Gegenwart Quinns ein deutliches Unwohlsein verspürt, so akzeptiert er zunächst dessen Ausführungen. Weitere Nachforschungen führen den Priester zu Vincent Taretti, den Friedhofsgärtner von Hillcrest. Doch wie Quinn erweist sich auch dieser Mann, den etwas Seltsames umgibt, als verschlossen, ja geradezu brüsk und unfreundlich.

Dann wird der alte Pastor Hayden ermordet und Nathan beginnt allmählich zu begreifen, dass Hillcrest im Mittelpunkt eines Konfliktes biblischen Ausmaßes steht, in dem er selbst eine tragende Rolle zu spielen scheint.

Das Herausragendste an Keohanes Roman ist zweifellos die Verpackung als ein Hardcover, dessen Schutzumschlag ein durch Drucklack-Elemente veredeltes Engel-Motiv ziert, wobei des Bild selbst auf der künstlerischen bzw. handwerklichen Ebene eher Groschenroman-Qualität aufweist; ein Mangel, der sich - bedauerlicherweise - wie ein roter Faden durch das bisherige Programm des Otherworld Verlags zieht: regelmäßig wird die hochwertige Ausstattung der Publikationen durch geradezu trashig wirkende Cover-Bilder konterkariert.

Auf der inhaltlichen Ebene bietet “Das Grab das Salomon” lediglich Durchschnittskost. Die Handlung ist vorhersehbar und so unheimlich wie eine Doppelfolge der Teletubbies (was nicht heißt, dass es nicht doch Menschen gibt, die rundliche Stofffiguren mit Fernseher im Bauch und Antenne auf dem Kopf beängstigend finden).

Metaphysische Entitäten - Gott & Co - pfuschen von Anfang an kräftig im Leben der Sterblichen rum. Visionen, Träume, - je nach Perspektive - glückliche Zufälle oder auch besondere Fähigkeiten, sollen die jeweilige Mannschaft die Siegerstraße bringen. Dieses nimmt der Geschichte den Großteil an Spannung, denn als guter Christ hegt man zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Zweifel, wer am Ende die Arschkarte zieht.

Bis es aber schließlich gleichsam reinigendes Feuer “regnet”, darf man sich an den Seelenqualen insbesondere Nathan Dinnecks delektieren, der an Gefühlen so ziemlich alles auffährt, was einem depressionsaffinen Leser den Tag versüßt. Peter Quinn, sein großer Gegenspieler, steht ihm im Trübsal blasen kaum nach, sodass Tristesse und kleinbürgerliche Miefigkeit die Atmosphäre der mit verquaster, fast schon kindlicher Trivial-Religiosität durchsetzten, sich sehr behäbig entwickelnden Handlung bestimmen.

Jedesmal, wenn ich solche freudlosen Christen-Storys lese, in denen mir ein Autor irgendwelches Gott- und Anti-Gott-Gedöns einschließlich der Weltuntervernichtungs- und -beherrschungsspielzeuge dieser Mächte um die Ohren haut, jubiliere ich aufs Neue über mein Atheisten-Daseins. Halleluja!

Dass der Roman trotz der drögen Handlung dennoch nicht unterdurchschnittlich abschneidet, liegt vor allem an zahlreichen Charaktermomenten, die zwar von Trübsal dominiert werden, die aber nichtsdestotrotz von Keohane anschaulich und nachvollziehbar ausgearbeitet sind. Auch wenn die Figuren nicht vor Originalität strotzen und genau die Rollen spielen, die man als belesener Spielfilm- und Serien-Junkie erwartet, wirken sie lebendig und unter der Prämisse, dass nicht jeder Gläubige automatisch einen an der Waffel hat, wohltuend normal.

Neben den Figuren ist es Keohanes angenehme, eingängige und leichte “Schreibe”, die einen den Roman länger durchhalten lässt, als es die Handlung alleine rechtfertige. Wortgewalt oder diffizilen Satzbau sucht man zwar vergebens, aber hinter den Browns, Kings oder Holbeins dieser Welt braucht sich der Autor in stilistischer Hinsicht nicht verstecken.

Fazit: Ein Mystery-Thriller von der Stange. Nett zu lesen, aber weder originell, noch sonderlich spannend.

26.07.2008

Gruber, Andreas - Das Eulentor


Titel: Das Eulentor
Autor: Andreas Gruber
Seiten: 318, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-89840-273-6
Verlag: BLITZ-Verlag 2008
Rezension: Frank Drehmel

Neben “Sherlock Holmes im Reich des Cthulhu” von Klaus-Peter Walter sowie der von Frank Rainer Scheck und Erik Hauser herausgegebenen, zweibändigen Anthologie “Als ich tot war” ist Andreas Grubers “Das Eulentor” der vierte Band der neuen Hardcover-Reihe des Blitz-Verlags. Wie schon Walter so führt auch Gruber den Leser in das beginnende 20. Jahrhundert.

1911 organisiert der junge österreichische Arzt Alexander Berger unterstützt von dem deutschen Kartographen Jan Hansen eine Expedition in die Arktis, um im Auftrag eines Verlages das ungenaue Kartenmaterial Fridtjof Nansen zu überarbeiten.

Doch was als 1700 km langer Fußmarsch geplant war, endet schon nach wenigen Hundert Kilometern, denn nicht nur die ungewöhnlich starke Kälte machen von Beginn an das Fortkommen anstrengend, auch Unglücks- und Todesfälle sowie der Verlust von Ausrüstung überschatten das Unternehmen.

Kurz vor Abbruch der Expedition entdecken die Arktisreisenden auf einem Felsplateau einen runden, künstlichen, senkrecht in die Tiefe führenden Schacht. Auf eine nähere Untersuchung dieses Phänomens müssen sie jedoch zunächst verzichten, da das bloße Überleben oberste Priorität hat.

Ein Jahr später, 1912, kehren Berger und Hansen, die Dank des couragierten Eingreifens eines Schiff-Kapitäns als einzige die erste Expedition überlebten, mit einem neuen, größeren Team und ausgestattet mit frischen Geldmitteln zum Schacht zurück, um ihn mit wissenschaftlicher Akribie seine Geheimnisse zu entreißen. Zunächst bauen sie mit Hilfe isländischer Arbeiter eine komplexe Infrastruktur aus Holzhütten und Werkstätten auf, um sich dann in den Schacht durch das Anlegen hölzerner Plattformen allmählich nach unten zu arbeiten.

Der anfängliche Optimismus schwindet jedoch, als nach vielen Monaten die Grenzen des Materials - von Seilen und Fördereinrichtungen - erreicht werden, ohne dass sich ein Grund in der Tiefe abzeichnet. Erst als ein gewisser Brehm, seines Zeichens Ingenieur, im Auftrag der Projekt-Finanziers die Leitung der Erkundung übernimmt, kommt neuer Schwung in das Unternehmen. Doch auch trotz modernster Techniken wie dieselbetriebener Gondeln gibt der Schacht seine Geheimnisse nicht Preis. Im Gegenteil: je weiter man vordringt, desto merkwürdigere physikalische Phänomene treten auf, bis man schließlich eine Tiefe erreicht, in der Lebewesen dem Irrsinn verfallen und sich physisch verändern.

Obgleich “Das Eulentor” wie Walters “Sherlock Holmes”-Roman an der Wende zum 20. Jahrhundert angesiedelt ist, wohnt Grubers Geschichte eine vollkommen andere Grundstimmung inne.

Erstens bedient sich Gruber einer deutlich zurückhaltenderen, konventionelleren Diktion als Walter. Sein Schreibrhythmus ist gleichförmiger, weniger pointiert, die Wortwahl der Handlung und dem Hintergrund zwar angemessen, jedoch erscheint sie weniger reichhaltig. Nichtsdestotrotz versteht es auch Gruber, den Leser - auf eine ruhigere Art - mitzureißen.

Zweitens ist der Grundkonflikt ein gänzlich anderer. Nicht der Kampf “Mensch gegen Mensch” respektive “Verstand gegen Verstand” stehen im Mittelpunkt, sondern das einsame Ringen des Menschen mit der Natur bzw. mit äußeren Umständen, die sowohl außerhalb seiner Kontrolle, als auch außerhalb seiner Erkenntnisfähigkeiten liegen. Bergers Kampf ist kraftvoller und archaischer, deutlich stärker vom bloßen Willen geprägt als Holmes Suche nach Wahrheit; und anders als bei der Figur des englischen Detektivs wohnt seinen Handlungen jederzeit die Möglichkeit des Scheitern inne.

Der dritte grundlegende Unterschied ist die Rolle der Technik innerhalb der Geschichte: während Walter seine Protagonisten geradezu euphorisch von den Errungenschaften der Neuzeit schwärmen lässt und seinen Roman ein Hauch von Steampunk durchdringt, unterstreicht bei Gruber die Technik das Scheitern der Protagonisten. Selbst modernstes Ingenieurwissen - immer auf den damaligen Zeitraum bezogen - versetzt sie nicht in die Lage, die fundamentalen Fragen, die der Schacht aufwirft, zu beantworten, sondern bring sie dem Verderben lediglich Meter um Meter näher.

“Das Eulentor” lebt nicht von plakativer Gewalt, sondern von der düsteren Atmosphäre, der langsamen Eskalation des Grauens, das ganz allmählich und subtil - wie nebensächlich, in kleinen Andeutungen - in die Geschichte einsickert, sowie von der Hilflosigkeit der Protagonisten angesichts eines Phänomens, das bis zum Schluss unerklärt bleibt. In sich ist Grubers Geschichte so unheimlich stimmig oder stimmig unheimlich, dass insbesondere Spieler des Chtulhu-RPG ihre Freude daran haben dürften, weil sie das Abenteuer fast einzueins nachspielen können.

In seiner Aufmachung bietet Grubers Roman sowohl Licht als auch Schatten. Cover-Bild und Cover-Gestaltung sind exzellent, auch wenn sich das ausdrucksstarke Motiv nur mit einiger Interpretation auf die Geschichte beziehen lässt. Die Papierqualität ist bedauerlicherweise nur durchschnittlich und das Layout in der Dimensionierung der Seitenränder sehr großzügig. Dafür illustrieren drei Grafiken bzw. Collagen des Künstlers Mark Freier den Text, deren magischer Realismus den Leser - trotz Kleinformat und Schwarweiß-Druck - sofort in seinen Bann zieht.

Fazit: Subtiler Horror und die düstere, beklemmende Atmosphäre machen “Das Eulentor” zu einer empfehlenswerten Lektüre für Genre-Fans.

McGough, S./Delaney, J. - Blick in die Zukunft


Titel: Blick in die Zukunft
Serie: Magic - The Gathering
Zyklus: Zeitspirale, Band III
OT: Magic: The Gathering: Time Spiral Cycle, Book III: Future Sight
Autor: Scott McGough & John Delaney
Ü: Hanno Girke

Seiten: 379
ISBN: 978-3-8332-1555-1
Verlag: PaniniBooks, 2007
Rezension: Frank Drehmel

Ein neuer Spieler betritt die Bühne Dominarias: Leshrac, der Wanderer der Nacht, versucht, die Zeitrisse, die nach wie vor das Gefüge des Multiversums bedrohen, für seine Zwecke zu nutzen. Doch der große Manipulator ist zu vorsichtig, als dass er sich persönlich mit Gewalten abgibt, die er nicht beherrschen kann. Daher spinnt er ein feines Netz aus Intrigen und Versuchungen, um die Weltenwanderin Jeska in seinem Sinne zu beeinflussen. Und Jeska erweist sich in der Tat als labile Persönlichkeit, ruhen in ihr doch die Erinnerungen Phages und Akromas (vgl. Kings Aufmarsch-Zyklus). So stellt sie sich schließlich gegen diejenigen, von denen sie Hilfe bei ihrer Suche nach ihrem Mentor Karn erwartet: Teferi und seine Gefährten.

Im Alleingang versucht Jeska, die gefährlichen Zeitrisse zu versiegeln. Dass sie dabei nicht nur einen der mächtigsten Weltenwanderer vernichtet, sondern auch die von ihr gefangene Radha, derer Feuermagie sie sich bedienen muss, gleichsam psychisch vergewaltigt und langsam tötet, spielt für sie keine Rolle.

Da Teferi, Jhoira und Venser ahnen, dass Jeska durch ihr rücksichtsloses und unüberlegtes Vorgehen die Gefahr, die von den Rissen ausgeht, verstärken könnte, sehen sie sich gezwungen, die außer Kontrolle geratene “Göttin” irgendwie von ihrem Tun abzuhalten; doch die magischen Kräfte der drei reichen dafür bei Weitem nicht aus.

Jeska ist allerdings nur ein (kleines) Problem, denn nach wie vor zieht Leshrac die Fäden. Und dessen Pläne sehen vor, den mächtigsten und ältesten aller Weltenwanderer, den Drachen Bolas, nach Dominaria zu locken, um ihn dort zu vernichten.

Zunächst sei darauf hingewiesen: Ein verstehender “Blick in die Zukunft” ist nur jenen Lesern vorbehalten, die Band 1, “Zeitspirale”, und Band 2, “Weltenchaos”, gelesen haben, denn Zeit für - redundante - Erklärungen nehmen sich die Autoren zu Recht nicht. Darüber hinaus erweist es sich als Vorteil, wenn man von Kings Aufmarsch-Zyklus zumindest die Rahmenhandlung kennt, da McGough und Delaney wiederholt auf die dort erzählte Geschichte Jeskas Bezug nehmen.

Als Belohnung werden diejenigen, die wissen worum es geht und die nicht allzuviel Wert auf Story-Tiefe oder differenzierte Charakterzeichnungen legen, von diesem Abschlussband, der “Magic - The Gathering” gleichsam in Reinform präsentiert, gut unterhalten.

Kommen Sie rein, Herrschaften!
Meine Dame, mein Herr!?
Hier hauen sich Götter Magie um die Lauscher, dass es nur so blitzt und donnert!
Hier wird intrigiert und gestorben, wie Sie es noch nicht gesehen haben!
Und Getränke kosten nur einen Heiermann!

Dabei erinnert die Art und Weise, in der die Autoren die Weltenwanderer zunächst an- bzw. aufmarschieren lassen, um gleich darauf deren Reihen gnadenlos zu lichten, frappierend an ein großes Reinemachen, an den Versuch des Resets eines Hintergrundes, der im Laufe der Jahre auch wegen einiger Götter-Altlasten zunehmend unübersichtlicher wurde. Hau weg die Alten! Macht Platz für the next Generation, für Venser & Co.!

Bei aller Freude über die actionreiche Story sollen die Schwächen des Romans nicht unter den Tisch fallen. Zunächst wäre da der dürftige Plot um die Zeitrisse. Weil zu keinem Zeitpunkt - und trotz aller Metaphysikeleien - wirklich klar wird, was diese Phänomene ihrem Wesen nach und im Kern sind bzw. was sie warum bewirken (oder auch nicht), erscheinen sie lediglich wie ein vordergründiger, billiger Aufhänger, eine Art Rechtfertigung der Autoren für das Lichten der Weltenwanderer-Phalanx.

Die gottgleichen Wesen ihrerseits kommen in ihren Taten deutlich zu menschlich rüber, selbst wenn wiederholt etwas anderes behauptet wird; sie sind in gewisser Weise zu klein - nicht nur kariert -, zu sehr in ihren Eifersüchteleien und Ambitionen gefangen, um einen göttlichen Nimbus zu tragen. Ähnliches gilt für die durch sie gewirkte Magie, die zwar fraglos machtvoll ist, aber weit, sehr weit von einem WOW-Erlebnis entfernt.

Dennoch: unterm Strich ist - nicht zuletzt wegen der Auftritte von Bolas, Leshrac und “der Nacht” sowie der gefälligen Schreibe des Autorengespanns - “Blick in die Zukunft” der beste Band dieses auch in toto unterhaltsamen Magic-Zyklus’.

Fazit: Krönender, actionreicher Abschluss der Zeitspirale-Trilogie! Für Leser, die immer schon geahnt haben, dass Götter auch nur Menschlein sind.

Wooding, Chris - Alaizabel Cray


Titel: Alaizabel Cray
OT: The Haunting of Alaizabel Cray
Autor: Chris Wooding
Ü: Wolfgang Ferdinand Müller
Seiten: 351
ISBN: 3-40420479-4
Verlag: Bastei Lübbe, 2003
Rezension: Frank Drehmel

Thaniel Fox hat das schwere Erbe seines Vaters, eines legendären Hexenjägers, angetreten: ausgestattet mit einem besonderen Gespür für Hexlinge, allerlei Amuletten, einem Wissen, das seines gleichen sucht, und einer Pistole, die er meisterhaft beherrscht, jagt der junge, wohlhabende Mann in den düsteren Gassen Londons jene Wesen, die die meisten Menschen nur aus ihren Albträumen kennen.

Eines Tages findet er auf einer Jagd in einem heimgesuchten Haus ein verstörtes Mädchen, dem große Teile seiner Erinnerung zu fehlen scheinen und dessen Name Alaizabel Cray lautet. Auch wenn ihm sein Verstand zur Vorsicht rät, so siegt doch der Beschützerinstinkt, so dass er dem hilflosen Geschöpf in seinem Heim Unterschlupf gewährt.

Zusammen mit seiner Freundin, Lehrerin und Mentorin Catheline versucht er, das Geheimnis um Alaizabel, die aus irgendeinem Grund Hexlinge geradezu anzieht, zu lüften.

Schon bald finden die beiden Jäger heraus, dass das Mädchen im Mittelpunkt einer Verschwörung steht, die das Ziel hat, einen uralten Dämonen zu erwecken.

Da “Die Gilde”, deren Mitglieder sich auch aus dem “Who’s Who” der Londener Society rekrutieren und die hinter diesem Plan steckt, jedoch zu mächtig ist, um sich mit ihr direkt anzulegen, suchen Thaniel, Cathaline und Alaizabel Hilfe bei den Bettlern, die unter der Stadt hausen.

Doch es scheint alles vergebens, denn der letzte Mord in einer ganzen Serie von grauenhaften Morden an jungen Frauen, die alle nach einem bestimmten Muster begangen wurden, öffnet dem Dämon das Tor in Thaniels Welt.

Es gibt Auszeichnungen - Neudeutsch: Awards -, die es wert sind, werbewirksam vermarktet zu werden, weil sie echtes, mehr oder weniger hart erarbeitetes Expertenwissen repräsentieren. Ob der “Nestlé Children’s Book Prize” (aka “Nestlé Smarties Book Prize” oder “Smartie-Award”) - Nestlé ist das Unternehmen, unter dessem Namen “Smarties”, jene zuckerüberzogenen Schokolade-Sphäroiden, deren kurze Achse etwa 5 mm und deren lange Achse etwa 15 mm messen und die es seit 2006 auch in Natur-Blau gibt - vertrieben werden, in die Reihe dieser Preise gehört, kann man mit guten Gründen in Frage stellen.

Natürlich sind die Kinder, die neben den erwachsenen Juroren des Booktrusts über die Awards entscheiden, in gewisser Weise Experten. Experten im Kind-sein! Und nicht in der Beurteilung, ob etwas - Buch, Film, PC-Spiel - didaktisch/künstlerisch “hochwertig” (gut) oder wenigstens nicht schädlich (schlecht) ist. Und sollten sie es doch wissen, dann sind es keine echten Kinder mehr. Eltern werden wissen, wovon ich rede.

Kurz und gut: die von Bastei herausgestellte Tatsache, dass “The Haunting of Alaizabel Cray” im Jahre 2001 den zweiten Platz in der Kategorie “9 - 11 Years” des “Smartie-Awards” errang, sagt über die Qualität des Romans - zurückhaltend ausgedrückt - eher wenig aus. Und da der Roman in Deutschland nicht explizit als Kinderbuch, sondern in Basteis “erwachsener” Fantasy-Reihe veröffentlicht wurde, vergessen wir an dieser Stelle die vielen, vielen bunten Smarties.

Zwei Dinge werden bei der Lektüre dieses Romans besonders augenfällig: zum einen erscheint die Geschichte wie eine Aneinanderreihung zahlreicher kleiner Szenen, die zwar von einem roten Faden durchzogen werden, denen aber der große innere Zusammenhalt fehlt. Zum anderen hält sich Chris Woodings eigener “schöpferischer” Beitrag in einem überschaubarem Rahmen. Das heißt nichts anderes, als dass er sich mit beiden Händen kräftig aus dem Fundus alter und moderner Mythen bedient, sich von renommierten Autoren wie Dickens oder Lovecraft überdeutlich inspirieren lässt und auch nicht davor zurückscheut, die Figur Jack The Rippers unter dem Namen Flickengesicht auferstehen zu lassen - allerdings ohne wirkliche Einbindung in die Geschichte.

Den insgesamt sehr hölzernen, motivationsarmen Charakteren und der wenig kohärenten, in Teilen deutlich zu kitschigen Story stehen immerhin einige atmosphärisch sehr dichte Beschreibungen der düsteren Örtlichkeiten eines alternativen, viktorianisch angehauchten Londons gegenüber, die den Roman zwar nicht retten, die aber ebenso wie die verhaltenen Steampunk-Anklänge wenigstens als kleines Trostpflaster angesehen werden können.

Fazit: Ein gefällig geschriebener Roman für Kinder, der dem erwachsenen Leser nichts Neues bietet..

Willingham, Bill - 1001 Schneeweiße Nächte

Titel: 1001 Schneeweiße Nächte
Serie: Fables
OT: Fables: 1001 Nights of Snowfall
Autor: Bill Willingham
Illustrationen: Charles Vess e.a.
Ü: Gerlinde Althoff
Seiten: 148
ISBN: 978-3-86607-548-1
Verlag: PaniniComics, 2008
Rezension: Frank Drehmel

Für diejenigen, welche die preisgekrönte Serie, die wie Sandman, Hellblazer oder Preacher unter dem Vertigo-Label des DC-Verlags erscheint, (noch) nicht kennen eine sehr kurze Zusammenfassung des Hintergrundes: der Krieg mit einem namenlosen Wesen, dem “Feind”, veranlasst unsterbliche Märchengestalten - den bösen Wolf, Schneeweißchen, Pinocchio, u.v.a.m. - aus ihrer Märchenwelt in die Welt der Sterblichen zu fliehen, um hier in der Stadt New York im Exil eine kleine und geheime Enklave zu gründen.

“1001 Schneeweiße Nächte” stellt zumindest in den einzelnen Episoden eine Art Prequel zu dem Grundplot der Serie dar. Snow White reist in den Orient, um die arabischen Märchenländer vor dem Widersacher zu warnen, unter dessen Ansturm die europäischen schon fielen. Am Hofe des Sultans Shahryar wird sie zunächst freundlich aufgenommen, muss jedoch bald feststellen, dass der Herrscher Böses im Schilde führt. Weil er in Frauen grundsätzlich betrügerische Wesen sieht, erließ er das Edikt, jeden Morgen die Frau zu köpfen, mit der er die letzte Nacht verbrachte. Die Nächste auf seiner Liste ist nun Snow White, obgleich sich ihre Zusammenkunft sittsam gestaltete und sie einen offiziellen Gesandten-Status innehat.

Doch Snow ist alles andere als auf den Kopf gefallen und versucht, um selbigen zu behalten, Shahryar mit Geschichten zu umgarnen. Ihre Erzählungen, die näher auszuführen den Inhalt dieser Rezension sprengte, führen zurück in die Vergangenheit einzelner, liebgewonner Fables-Protagonisten, wie Prince Charming, Reynard, dem Fuchs, Bigby Wolf, Schneeweißchen und ihrer Schwester Rosenrot oder der “bösen” Hexe.

Kaum eine amerikanische Comic-Reihe wurde in jüngster Zeit mehr in den Himmel gelobt als Bill Willinghams “Fables”; nicht ganz ohne Grund, wie mehrere Eisner Awards zu belegen scheinen (auch wenn dieser Preis nicht unumstritten ist). So gewann der vorliegende Band 2007 in der Kategorie “Best Anthology”; zudem erhielten einige der hieran beteiligten Künstler im selben Jahr (oder vorher) Auszeichnungen in weiteren Kategorien.

Ich will - so wie immer (^^) - ehrlich sein: für mich ist die Wahl der Award-Jury angesichts des ebenfalls nominierten “Japan as Viewed by 17 Creators” alles andere als nachvollziehbar, denn jenseits des zweifellos vorhandenen Humors und eines Unterhaltungswertes gerade für Fable-Fans folgt “1001 Schneeweiße Nächte” vor allem auf der Erzählebene einem in weiten Teilen konventionellen, wenig erfrischenden Ansatz.

Die Serie lebt zum einen von der Konfrontation zwischen moderner Welt und den im Märchen manifestierten archaischen bzw. tradierten Ängsten und Moral-Vorstellungen, zum anderen - über die bloße Konfrontation hinaus - in der Demontage liebgewonner Märchen-Stereotype und Archetypen.

In den Storys dieser Anthologie findet die Konfrontation kaum oder gar nicht statt, d.h. die Geschichten verlassen einen gleichsam natürlichen, märchenhaften Kontext nicht. Und die Demontage bzw. das lustvolle Spielen mit Klischees erfolgt in zu wenigen und bezeichnenderweise sehr kurzen Episoden - hervorzuheben hier: der Prinz, der sich in Stresssituationen immer wieder in einen Frosch zurückverwandelt (S. 64 - 71), oder das Kaninchen Colonel Thunderfoot, das von einem Zauberer seiner Spezies in einen Menschen, also ein Monster verwandelt wird, um fortan Kaninchen-Damen nachzusteigen, damit sie ihn erlösen (S. 86 - 88) -, als dass es den gesamten Comic tragen könnte.

Der Großteil der Storys ist wenig pointiert erzählt, plätschert lediglich vor sich hin und eröffnet keine wirklich neuen Sichtweisen; skurrile, originelle oder - im Vergleich zur Serie - weiterführende Positionen in der Charakter- und Situations-Konstruktion werden zu Gunsten einer eher klassischen, leicht moralisierenden Märchenerzählweise aufgegeben.

Aus diesem konventionellen Ansatz heraus erklärt sich auch das hier kolportierte negative Islam-Bild, das in seiner Klischeehaftigkeit - frauenfeindlich (“Bei ihm suchten wir Zuflucht vor der Schlechtigkeit der Frauen”) und imperialistisch (“Denn tatsächlich ist sowohl dein Land als auch das des Feindes Dar al Hab, das bedeutet, Land des Krieges, und eines Tages werden sie vielleicht zum großen Kalifat gehören.”) - durchaus etwas wohlfeil Tumbes an sich hat.

Zumindest in dieser Form ist Willingham weit, sehr weit davon entfernt, einem Gaiman den Rang abzulaufen, so wie es “kundige” Comic-Auguren im marketingtrunkenen Überschwang prophezeiten.

Deutlich erfreulicher ist das grafische Moment dieser Anthologie, das trotz - oder gerade wegen der unterschiedlichen Stile aller beteiligten Künstler- durch die Bank überzeugt. Natürlich treffen einige Illustratoren mehr meinem Geschmack (Charless Vess, Tara McPherson oder Esao Andrews), andere weniger (Mark Buckingham oder Jill Thompson), doch gerade im Nebeneinander sind sie nahezu gleichwertig bzw. gleich bedeutsam, geben sie doch eine vage Ahnung - mehr allerdings auch nicht - von der grafischen Vielseitigkeit, die das Medium Comic zu bieten hat.

Fazit: Grafisch zwar ein Genuss, in der Story oder - besser - den Storys nicht überzeugend.

29.06.2008

Irgendwo auf einer Insel im Ozean ...

Irgendwo im Ozean stranden einige Leute unterschiedlicher
Nationalität auf einer
paradiesischen Insel:

2 Italiener 1 Italienerin
2 Franzosen 1 Französin
2 Deutsche (m) 1 Deutsche
2 Griechen 1 Griechin
2 Engländer 1 Engländerin
2 Bulgarier 1 Bulgarin
2 Schweden 1 Schwedin
2 Australier 1 Australierin
2 Neuseeländer 1 Neuseeländerin
2 Iren 1 Irin
2 Singapurianer 1 Singapurianerin
2 Türken 1 Türkin
2 Österreicher 1 Österreicherin
2 Schweizer und eine Schweizerin

Ein Monat später:

1 Italiener hat den anderen wegen der Italienerin umgebracht. Die 2 Franzosen leben glücklich mit der Französin in einer menage à trois. Die beiden Deutschen haben einen streng eingehaltenen wöchentlichen Zeitplan aufgestellt, wie sie sich jeweils abwechseln. Die beiden Griechen schlafen miteinander und die
Griechin darf für sie putzen und kochen. Die beiden Engländer warten noch auf jemanden, der sie der Engländerin vorstellt. Die beiden Bulgaren haben sich zuerst die Bulgarin und dann den Ozean angeschaut, um dann davon zu schwimmen. Die beiden Schweden üben sich in der Kunst des Selbstmords, während die Schwedin lange Vorträge darüber hält, dass ihr Körper ihr gehört, und über die Grundsätze des Feminismus. Aber wenigstens schneit es nicht und die Steuern sind niedrig. Australier sind eh alle bisexuell, also kein Problem. Die beiden Neuseeländer haben angefangen, die Insel nach Schafen abzusuchen während sich die Neuseeländerin mit einer Banane, die sie zufällig fand, angefreundet hat. Die Iren haben die Insel zuerst in einen Nord- und einen Südteil aufgeteilt und eine Whisky-Destillearie gebaut. Inwieweit sie Sex wollen, haben
sie vergessen, nachdem es nach den ersten paar Litern besten Kokos-Whiskeys irgendwie so neblig geworden ist. Aber sie sind glücklich miteinander, denn sie sind sich darüber einig, den Engländern keinesfalls etwas abzugeben! Die Singapurianer warten noch auf Anweisungen von der Regierung. Die Türkin ist permanent schwanger, die beiden Türken baggern daher ständig die blonde Schwedin an.
Die beiden Österreicher einigen sich darauf, die Österreicherin gelegentlich gegen Entgelt an die Türken zu vermieten und kaufen sich dafür Whisky bei den Iren. Die Schweizer schlossen bilaterale Verträge mit den anderen, die Ihnen genug zu Essen, zu trinken und Abwechslung beim Sex sicherstellen sollten. Alle waren einverstanden, nur die drei Schweizer haben die Verträge wegen internen Querelen bis gestern nicht ratifiziert und sind soeben verhungert.

Eisangeln

Eine Blondine watschelt aufs Eis hinaus und macht ein Loch, um zu fischen. Wie sie gerade so angelt, hört sie eine Stimme von oben: "Hier gibt es keine Fische!" Sie geht nicht darauf ein, plötzlich hört sie wieder die Stimme: "Hier gibt es keine Fische!"
Sie schaut sich um, aber sieht niemanden. Dann fischt sie weiter. Dann hört sie die Stimme zum dritten Mal: "Hier gibt es keine Fische!" Sie schaut auf und fragt ganz schüchtern:
"Gott, bist du das?" "Nein, ich bin der Sprecher der Eishalle!"

Selbstmordversuch

Kommt eine Blondine mit der abgeschossenen Fingerkuppe ihres linken Zeigefingers in die Notaufnahme des Krankenhauses. Fragt der diensthabende Arzt: "Wie ist denn das passiert?"
Antwortet die Blondine: "Ich wollte Selbstmord begehen!" Fragt der Arzt entgeistert: "Selbstmord - indem Sie sich den Finger abschießen?"
"Blödsinn!" sagt die Blondine, "Erst habe ich mir die Pistole an die Brust gehalten. Dann dachte ich mir: Du hast doch erst 10.000 € für eine Brustvergrößerung ausgegeben. Da habe ich mir dann doch nicht durch die Brust geschossen!"
"Und was dann?" fragt der Arzt. "Dann habe ich mir die Pistole in den Mund gesteckt," sagt die Blondine, "aber dann fiel mir ein, dass ich ja erst vor ein paar Monaten 5.000 € für meine neuen strahlenden Zähne bezahlt habe. Da hab ich mir dann doch nicht in den Mund geschossen!" "Ja, aber wie ... ?", fragt der Arzt. Erklärt die Blondine: "Dann habe ich mir die Pistole in das Ohr gesteckt. Ich dachte mir aber, dass das einen ziemlich lauten Knall geben wird und da habe ich vor dem Abdrücken den Finger in das andere Ohr gesteckt"

LKW-Fahrer

Ein LKW wird auf der Autobahn von einer Blondine in einem Mercedes fies geschnitten und kommt fast von der Straße ab. Wütend rast der LKW-Fahrer hinterher, schafft es sie zu überholen, um sie auf einen Rastplatz zu drängen. Er holt sie aus dem Wagen und schleppt sie ein paar Meter davon weg, zeichnet mit Kreide einen Kreis um sie und warnt: "Hier bleiben Sie stehen, wehe, Sie verlassen den Kreis!"

Dann widmet er sich dem Wagen: Mit einem Schlüssel zerkratzt er den Lack von vorne bis hinten. Als er danach zur Blondine schaut, grinst diese völlig ungeniert. Das macht ihn wütend, er holt aus seinem LKW einen Baseballschläger und zertrümmert die Scheiben des Mercedes. Sie grinst noch viel breiter. "Ach, das finden Sie witzig?" schimpft er und beginnt, die Reifen mit einem Messer zu zerstechen. Die Blondine bekommt vor lauter Kichern schon einen roten Kopf. Nachdem er auch die Ledersitze aufgeschlitzt hat und das Mädel sich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten kann, geht er zu ihr hin und schreit:
"WAS IST? WARUM LACHEN SIE?"
Kichernd sagt sie: "Immer wenn Sie nicht hingeguckt haben, bin ich schnell aus dem Kreis gehüpft."

18.06.2008

Sternentagebuch - Gott is(s)t ein Hühnchen

Versuchskaninchen

In einem verbeulten Raumschiff der ersten Generation der Raumfahrt legte Raumpilot Mathias die Füße aufs Kontrollpult und sah zu dem Glaskasten, in dem er die Erinnerungen an die Erde aufbewahrte. Viel, abgesehen von seinen Erinnerungen, war ihm nicht geblieben. Eine zerfetzte Fahne der Frecce Tricolori, die er aus einem von Raumpiraten zerschossenen Schiff geborgen hatte. Ein Bierkrug aus seiner Heimat, der Henkel war jedoch abgebrochen und lag in einer Plastiktüte in dem Krug. Dann noch ein paar Geldscheine und Münzen, die er zu Wucherpreisen von galaktischen Händlern gerettet hatte. Sie hätten das wertlose Zeug verbrannt oder eingeschmolzen. Doch für den Piloten hatten diese Dinge einen ideellen Wert, sie waren der Rest seiner Identität und Herkunft.

Seit die Erde vergangen war, verbrannt von den Neidern, die das grüne Paradies nur zu gerne besessen hätten, und als die Menschen es ihnen verwehrten den blauen Planeten mitsamt seiner Einwohner einfach aus den Karten ausbrannten.

Menschen waren nun bessere Zootiere in einem goldenen Käfig. Durch die Liga der verbündeten Welten hatten sie freie Passagescheine erhalten, die ihnen erlaubten sich auf jedem Planeten niederzulassen oder von dort ihre nächste Passage anzutreten. Da sie aber nirgends sesshaft werden konnten (größere Kolonien wurden früher oder später wieder angegriffen und ausgelöscht), waren die Menschen zu Streunern geworden. Und damit natürlich zu den häufigsten Opfern von Raumpiraten.

Doch Mathias kümmerte das wenig. Er flog unter sicherer Flagge, der Forschungsabteilung der Liga der verbündeten Welten. Nicht einmal die Piratenflotte und Dag Durnik, dem berüchtigtsten und blutrünstigsten Raumpiraten zwischen Orion und Centauri, würde es wagen ein Schiff unter der Fahne dieser Allianz anzugreifen. Denn selbst er hatte die Waffen in den Geheimlaboren dieser Abteilung zu fürchten, die Letzter-Tag-Maschine hatte schließlich unlängst ein ganzes von ihm besetztes System verbrannt.

Pilot Mathias hielt sein Schiff genau über dem Nordpol eines von der Liga aufgekauften Planeten, der bald einem Experiment zum Opfer fallen würde. In dieser Beziehung schienen die Extraterrestrischen wenig Ethik zu besitzen. In den letzten elf Jahren hatte Mathias miterlebt wie über ein Dutzend Planeten aus wissenschaftlichen Gründen, manchmal mitsamt seiner Bevölkerung, ausradiert wurde.

Unter dem Bauch des leichten Raketenschiffs leuchteten die Polarlichter in einem wilden Aufflammen von Farben, die den Piloten an einen Disko auf der Erde erinnerten. Ihr Leuchten hatte sich in den letzten Minuten intensiviert und die Impulse waren zahlreicher geworden. Anscheinend spielten die Wissenschaftler an der magnetischen Anziehung herum.

Plötzlich leuchtete aber auf dem Schaltpult eine rote Lampe auf und Mathias nahm entnervt den veralteten Hörer ab. Neuere Schiffe verfügten über neurale Anschlüsse, aber für Menschen waren die Feldtelefonen ähnlichen Geräte wohl ausreichend. Am anderen Ende der Leitung (obwohl man bei einer Schiff-Schiff-Verbindung kaum von Leitung sprechen kann) war Dekan Karrok Durgal, ein lästiger Zentaur aus dem Orionnebel. „Bald ist es so weit. Bereitmachen zum Quantensprung.“

„Verstanden. Wie Flash Gordon sagte: Auf in Kampf. Oder so.“

„Wer ist Flash Gordon? Ein Mensch?“

„Vergessen Sie es. Ich bin bereit.“ Mathias legte die Hörer auf und brachte seinen Sitz in eine aufrechte Stellung und legte die Sicherheitsgurte an. Das war einer der Momente, in denen er sich wie ein Affe bei den Raketenversuchen der NASA auf der Erde fühlte.

Die Geräte seines Schiffs Bianca wurden nun vollständig von Dekan Durgals Leitschiff übernommen. Die Position veränderte sich einige Mal ruckartig um wenige Meter bevor sich das Sichtfenster aus fünf Zentimeter dickem Plexiglas den Sternen zuwandte.

Pilot erkannte einige Sternenbilder, dann geschah es.

Der Planet unter seinem Schiff leuchtete rot auf und begann sich aufzulösen während eine wahre Flut von Magnetwellen in Form von Polarlichtern über die Atmosphäre fegte. Die magnetische Entladung weitere sich auf das Schiff aus und gab ihm Schub.

Der Pilot wurde in den Sitz gedrückt und verlor beinahe das Bewusstsein. Vor der Nase des Schiffs veränderte sich der Ereignishorizont und katapultierte das Schiff in den Quantenhyperraum. Der schwarze Weltraum verlor sich in tiefem Rot mit schwarzen Konturen.


Streunerkolonie

„Unbekanntes Schiff auf Kurs 007 zu 823. Identifizieren Sie sich oder wir werden Sie abschießen. Kommen.“

Mathias lächelte. In Anbetracht der veralteten Raketenrampen, über die der Mars verfügte, war das nicht einmal mehr eine leere Drohung. Seit dem Piratenüberfall von 2034 waren die Silos leer und die Anlagen nur mehr pro Forma vorhanden.

„Identifikation erfolgte. Sternenschiff Bianca aus dem Tigris-Sektor. Ein Besatzungsmitglied. Erbitte Landeerlaubnis in Planetarstadt New Hope. Kommen.“

„Identifikation bestätigt. Willkommen zurück. Landeerlaubnis erteilt. Ende.“

Mathias brachte seinen Sitz in eine waagrechte Stellung und zog die Gurte fest. Danach stellte er das Schiff auf Autopilot und schloss die Augen. Ein kurzer Stoß der Triebwerke beschleunigte das Schiff auf beinahe Schallgeschwindigkeit und brachte es in die dünne Atmosphäre des Mars. Die Hitzeschilde begannen zu glühen bevor das Schiff die oberen Schichten durchstoßen konnte und den Schub umkehrte. Der Autopilot brachte den Sitz des Piloten wieder in die normale Stellung und der Pilot übernahm wieder das Kommando. Der Leitstrahl erfasste seine Sendeantenne und zeichnete auf seinem Bildschirm die Flugroute mit einem roten Strich vor.

Längsseits der Bianca gingen zwei veraltete Düsenmaschinen der ersten Generation auf Flughöhe und überprüften das Schiff noch einmal Visuell. Der Pilot winkte seinen Kameraden zu, deren Gesichter hinter verspiegelten Helmen verborgen waren. Unter den Flügeln trugen sie je fünf Atomraketen, die letzten der Menschheit.

Die Bianca durchstieß eine schwarze Wolkenwand und fand sich dann allein im Anflug auf New Hope. Die Abfangjäger waren also in den Wolken abgedreht, wahrscheinlich um das nächste anfliegende Schiff zu beobachten. Im Orbit hatte der Pilot mehrere Transporter von Orion ausgemacht, die Verpflegung und Waren auf den Mars bringen sollten.

„Endlich wieder Zuhause“, flüsterte Mathias und programmierte die letzten Flugvektoren. Dann verließ er seinen Posten und begann sein weniges Hab und Gut zu packen.

Der Gestank von Diesel, Öl und sonstigen Treibstoffen schlug Mathias entgegen als sich die Schleuse der Bianca wie ein gieriger Mund öffnete. Sofort kam ein kleiner Techniker vom Omicron Perseji auf Mathias zu gerannt und überschüttete ihn mit einem Wortschwall in seiner Heimatsprache.

„Nichts, danke“, antwortete Mathias uninteressiert und stieß den kleinen Techniker zur Seite bevor dieser eine Hitzeschott aufreißen konnte um es danach wieder zu reparieren.

Schließlich erschien eine Deckwache und nahm die Personalien von Mathias auf. Danach errichtete er ein Blockierschild um die Bianca.

„Wie lange werden Sie bleiben?“ fragte der Deckoffizier abschließend.

„Solange wie das reicht“, antwortete Mathias grinsend und öffnete eine kleine Sporttasche. Die Augen des Deckoffiziers weiteten sich vor Überraschung. „Sind das…?“

„Unverschnittene Duraniumkristalle, ja“, antwortete Mathias und schloss die Tasche wieder. Er schulterte sie und verließ dann den Hangar. Hinter ihm schloss sich die schwere Panzertür und versiegelte sich. Die Schleuse begann mit der Reinigung von Mathias und elf weiteren Piloten von verschiedenen Welten. Dann öffnete sich eine weitere Tür und sie betraten den Markt.

Dort herrschte dichtes Gedränge. Menschen und Außerirdische hatten dort ihre Stände oder drängten sich dazwischen. Auf erhöhten Punkten standen schwer bewaffnete Chamäloniten-Wachen mit automatischen Waffen und hielten ihre acht Augen offen.

Der Lärmpegel stieg an als die anderen elf Piloten ihre Tragtaschen öffneten und die neuen Waren auf vorbereiteten Tischen feilboten.

Nur Mathias verließ die Gruppe und wollte in der Menge verschwinden. Leider zu langsam, denn eine kräftige Hand legte sich auf seinen Schulter, packte dann seinen Arm und verdrehte ihn. „Hallo, Mathias. Doch zurück von den Toten. Wo ist das Geld?“

„Ich habe es noch nicht“, stöhnte Mathias. Seine Tasche fiel schwer zu Boden und platzte auf. Sofort löste sich der Griff und Alquasar Alhambra ging in die Knie um die Ware genauer anzusehen. „Das sollte reichen“, grinste er.

„100 Kredite schulde ich dir, nicht mehr. Das ist über 500.000 wert!“ protestierte der Pilot. Doch Alquasar lachte nur und zog eine Waffe. „Das sehe ich nicht so.“

Mathias fixierte die kleine Strahlenkanone in der Hand des Schlägers und schätzte seine Chancen ab. Sie standen natürlich sehr schlecht.

Doch in diesem Moment sprang ein Chamölonit von seinem Posten, schlug Alquasar die Waffe aus der Hand und trat ihm in die Kniekehle. Stöhnend sank der Schläger zusammen und hatte auch schon einen Lauf im Genick.

„Weitergehen. Es gibt nichts zu sehen“, befahl der Wächter und presste seinen Hals gegen die Schulter. Dann sprach er in der schnellen, zischelnden Sprache seines Volkes zu seinem Wachoffizier.

Mathias war das jedoch herzlich egal. Er packte sein Zeug und verschwand wieder in der Menge.


Alte Geschäftspartner

Leider kam Mathias auch dieses Mal nicht weit. Denn als er den Markt in Richtung seiner Unterkunft verließ bemerkte er bereits die beiden Schläger, die ihm dicht folgten und direkt vor seiner Eingangstür zu ihm aufschlossen. Mathias musste nicht lange nachdenken um zu wissen wer diese beiden schrägen Gestalten geschickt hatte.

„Ich verstaue schnell meine Sachen, dann können wir gehen. Kein Grund gewalttätig zu werden, oder?“ Vorsichtig stellte er die Tasche in dem kleinen Wohnraum ab und nahm ein Musterstück seiner Bezahlung an sich. Die beiden Schläger waren überraschenderweise mit verschränkten Armen vor der Tür stehen geblieben und nahmen Mathias nun in die Mitte. So lotsten sie ihn zu einem alten wasserstoffbetrieben Wagen, der am Rande des Marktes stand. Der linke Schläger öffnete die hintere Tür und wies den Piloten mit einer herrischen Geste an einzusteigen. Kaum hatte er sich gesetzt, schlug er schon die Tür zu und versperrte sie. Danach nahmen die beiden vorne Platz und verspiegelten die Fensterscheiben. Eine kurze Eingabe und die Computersteuerung setzten den Wagen in Bewegung.

Ihr Ziel war eines der unzähligen Lagerhäuser in der Nähe des Weltraumbahnhofs. Allerdings war dieses hier nicht so heruntergekommen und stand unter Bewachung.

Sie nahmen den Wagen genau unter die Lupe bevor sie ihn passieren ließen. Drinnen stoppte das Fahrzeug dann zwischen bis zur Decke gestapelten Kisten und die beiden Schläger nahmen Mathias wieder in die Mitte. Dann führten sie ihn tiefer in die Lagerhalle in eine Art Aufenthaltsraum.

Dort sah ein mit grünem Blut überströmter Außerirdischer auf einem Sessel und musste gerade weitere Prügel von einem Bronzegolem aus Beta-Centauri einstecken. Am anderen Ende des Raums saß auf einem erhöhten Sessel, der im Verhältnis zur restlichen Einrichtung wie ein Thron wirkte, der Besitzer dieser Lagerhalle.

Als Mathias vorgeführt wurde stand er auf sodass der lange schwarze Ledermantel von seinen Schenkeln fiel und bis zum Boden reichte. „Zurück von den Toten wie ich sehe. Zeit deine Schulden zu begleichen.“

„Gut dass du das erwähnst. Ich wollte gerade Kontakt mit dir aufnehmen als mich diese beiden netten verschwiegenen Herren bereits zu Hause abholten.“

„Mir entgeht eben nichts. Also, sind wir glücklich miteinander oder muss ich dir eine Behandlung zukommen lassen wie dem armseligen Kyrik hier?“

Bei der Erwähnung seines Namens hob der gefesselte Außerirdische den Kopf, was zu Folge hatte das die Faust des Foltermeisters in sein Gesicht donnerte, den Knochen knacken und weiteres Blut spritzen ließ.

„Mathias, du hast bestimmt Zeit. Ich muss zuerst dieses Geschäft beenden. Außerdem wartet dann noch ein Roboterladenbesitzer, der sein Schutzgeld nicht bezahlen will.“

„Du hast wohl viel zu tun, Rosi…“

Da begann der Pate zu zittern, seine Mundwinkel flatterten und eine Ader erschien auf der Stirn. Schlotternd griff er in seine Manteltasche und holte eine kleine Metalldose heraus. Darin klapperten irgendwelche Tabletten. Doch als er die Dose öffnete erkannte Mathias dass es Kaugummis waren. Einer verschwand im Mund des Paten, der sich dann langsam wieder beruhigte. „Nenn mich nie wieder so“, zischte er zwischen den Zähnen hervor und begann zu kauen.

„Also, Kyrik, wo ist meine Ware? Goldie hat dich jetzt eine Stunde bearbeitet und ich kenne noch andere Methoden. Du willst dich doch nicht selber quälen, oder?“

„Ich weiß es wirklich nicht. Der Lieferant garantierte mir er würde zustellen. Er ist...:“

„Ein Kadaver mit sieben Laserverbrennungen in der Brust. Er sagte du hättest ihm die Waren nie übergeben. Die Spur führt zu dir, Kyrik.“

„Dann hat sie vielleicht Angel genommen.“

Der Pate begann wieder zu zucken und nahm dann einen zweiten Kaugummi. Mathias vermutete dass irgendein Enzym oder eine Droge beigemengt war. „Angel würde das niemals tun. Er arbeitet für mich! Goldie, hol den Flaschenöffner. Kyrik hat wohl Durst.“

Gierig leckte sich der Außerirdische die geschwollenen Lippen. „Ja, ich habe Durst. Danke vielmals.“

Der Golem brachte dem Paten einen alten Korkenzieher mit rotem Griff und ging dann genauso wie die beiden Schläger, die Mathias hergebracht hatten, mit verschränkten Armen an der Wand in Stellung.

„Nun, dann geben wir dir etwas zu trinken“, zischte der Pate und ergriff den Arm von Kyrik. Dann setzte er den Flaschenzieher an und blickte dem schlotternden Außerirdischen in die Augen. „Sag jetzt die Wahrheit, denn das könnte wirklich weh tun“, drohte er.

„Ich sagte immer die Wahrheit“, wimmerte Kyrik. Der Pate schüttelte den Kopf und begann dann langsam den Korkenzieher einzudrehen. Als der Griff die fettige Haut von Kyrik berührte fragte er erneut: „Willst du reden?“ Doch Kyrik schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf. Während der Folter hatte er keinen Laut von sich gegeben.

„Ich habe dich gewarnt!“ Mit diesen Worten riss der Pate den Flaschenöffner aus dem Fleisch. Blut spritzte und ein leiser Schrei kam über Kyriks Lippen. Dann warf der Pate den Flaschenöffner Goldie zu. „Du hast noch drei weitere Arme und vier Beine, Kyrik. Wenn du dann nicht sprichst wird Goldie das Ding in dein Herz drehen. Alles klar?“

Kyrik nickte schnell und eifrig und begann dann zu erzählen wie ein Wasserfall. Der Pate nickte immerzu langsam und seine Miene hellte sich langsam auf. Schließlich fiel ein Name. Der Pate drehte sich zu seinen Leuten um und gab ihnen ein Zeichen: „Holt ihn euch, Goldie wird auf mich aufpassen. Und jetzt zu diesem Roboter.“

Mathias räusperte sich. „Chef, ich will nicht anmaßend sein. Aber ich habe noch andere Dinge zu tun. Würde es zu viele Umstände machen? Bitte?“

Mathias zog bereits den Kopf ein in Erwartung dass gleich Fetzen fliegen würden. Doch der Pate blieb ruhig und gefasst. „Also es geht um 150.000 Kredits und die letzten fünf Raten für die Bianca. Alles in allem kommen wir auf etwa eine halbe Million. Was hast du also anzubieten um diesen Betrag zu decken?“

„Das hier“, antwortete Mathias und kramte das Musterstück der Duraniumkristalle aus der Tasche. Der Pate fing das Stück auf und musterte es. Dann reichte er es Goldie, der das Ding mit einer Lupe untersuchte. „Unverschnitten, Boss.“

„Sehr gut. Wie viel kannst du mir liefern?“ kam der Pate sofort zur Sache.

„Vorerst 400.000. Ich muss ja noch leben“, antwortete Mathias und stieß einen Lacher aus. Doch der Pate fletschte die Zähne. „Wie viel kannst du liefern?“

„450.000 sofort. Es fallen noch Reparaturen an. Außerdem habe ich sonst noch ein paar kleinere Schulden.“

„Ich habe gehört du hast meinen Freund Alquasar ins Gefängnis gebracht. Wenn ich die Kaution nicht bezahle wandert er noch heute in den Konverter. Viel Energie würde der alte Penner nicht ergeben, aber er war immer ein verlässlicher Eintreiber.“

„Und was hat das mit unserem Geschäft zu tun?“ fragte Mathias.

„Goldie. Erklär es ihm.“

„Du schuldest dem Boss Vierfufzig und allen anderen noch mal etwa fünfundsiebzig. Sagen wir achtzig damit es ein grader Betrag wird. Also kriegt der Boss fünfdreißig Riesen von dir. Jetzt. Sonst geht es dir wie dem hier.“ In diesem Moment drehte der Bronzegolem Kyrik den Korkenzieher in die Brust. Der Körper des Außerirdischen erschlaffte.

„Ich habe nur 500.000 bekommen“, antwortete Mathias schnell, „für den Rest muss ich noch einmal raus. Ich weiß aber nicht ob Dekan Durgal mich noch einmal nimmt. Normalerweise lässt er deine Versuchskaninchen nur einmal fliegen.“

„Dekan Durgal? Lass das meine Sorge sein. Und weil wir Freunde sind zahlst du jetzt sofort nur 490.000“, sagte der Pate und reichte Mathias die Hand. Vorsichtig ergriff der Pilot sie. „Dass das aber nicht zur Gewohnheit wird, ja?“

„Natürlich nicht, Rosi.“ Die Miene des Paten wurde wieder düster „Ähm, Chef natürlich.“

„Besser. Dann gehst du jetzt nach draußen und sprichst mit Angel. Er wird mit dir gehen und meine Ware abholen.“

„Klar. Dann bis später“, antwortete Mathias und verschwand pfeilschnell.

„Anlügen kann ich mich selber“, zischte der Pate und nahm eine automatische Laserkanone aus einer Kiste, die an der Wand lehnte. „Also, Goldie. Wo ist dieser Roboter, der es nicht für nötig erachtet mir Schutzgeld zu zahlen?“

Mathias war froh den Rest der Konversation nicht mit anhören zu müssen.

Beim Wagen stand bereits Angel, ein großer Schläger mit Hakennase und nacktem Oberkörper. Auf seiner Brust waren Tätowierung eines Panthers und eines Wolfs, auf dem Rücken trug er Engelsschwingen. Er machte sein böses Gesicht als er Mathias erblickte, eben das Gesicht, dass ihm den Spitznamen eingebracht hatte. „Na sieh einer an. Wen haben wir denn da?“ feixte er und öffnete die Tür. Im Wagen saß bereits der Waffenbruder von Angel, ein Hüne namens Miro-Drago, der seine abgesägte Laserflinte auf dem Schoß trug.

„Du bist also der Kurier?“ fragte Mathias unbeeindruckt und stieg ein.

„Eher dein Aufpasser.“


Hausdrachen

Die Tür der Wohnung war eindeutig aufgebrochen worden. Zumindest sagte das Angel und wies Miro-Drago danach an den Hinterhof zu überwachen. Danach zog er selber einen Teleskopschlagstock aus den Tiefen seines Gewandes und klappte das Teil auf. Die Spitze war zusätzlich mit einer Brecheinheit verstärkt, die bei jedem organischen Lebewesen schwere Magenkrämpfe hervorrufen wurden. Vorsichtig schob er mit dem Stock die Tür auf und schlich dann hinein.

Aus dem Wohnraum waren hitzige Stimmen zu hören. Die eine Stimme gehörte eindeutig zu Mathias’ Lebenspartnerin, einer exotischen Tänzerin aus einem billigen Schuppen. Die andere klang mechanisch, wahrscheinlich ein Eintreiber der Robotermafia. Mathias hatte auch mit diesen Schurken Geschäfte gemacht und sich verschuldet. Aber seit der Machtübernahme des neuen Paten war die Robotermafia auf dem Rückzug auf allen Gebieten sodass Mathias die Quittungen dieser Schulden bereits vernichtet hatten. Nur der Roboterpate, Fat Sony, schien sie nicht vergessen zu haben.

„Wo ist das Geld?“ schepperte der Roboter erneut.

„Ich weiß es nicht. Er ist aber nicht da gewesen“, kreischte die Frau.

„Er ist seit Stunden hier. Der Don hat ihn am Port gesehen.“

„Vielleicht ist er in die Schuppen gegangen. Oder einer von euch hat ihn geschnappt. Was weiß ich, ich habe den ganzen Tag gearbeitet und bin müde.“

Eine Kreissäge sprang kreischend an. „Du wirst reden, Frau. Das garantiere ich dir.“

„Ich weiß doch nichts“, weinte sie. In diesem Moment schritt Angel ein, sprang in den Raum und schepperte seinen Schlagstock über den Schädel des Roboters. In dem roten Sehschlitz erschien das Wort Error bevor das Ding zu Boden ging. Ohne Rücksicht auf die Einrichtung riss Angel das defekte Teil hoch und schleuderte es durch das geschlossene Fenster in den Innenhof. Unten knallte Miro-Dragos Waffe, was wohl das endgültige Ausscheiden der Einheit zur Folge haben sollte.

Dann trat Mathias vorsichtig in den Raum. „Ähm, hallo Schatz. Ich bin wieder da“, grinste er und kratzte sich verlegen am Kopf. Sie war schöner als er sie in Erinnerung hatte.

Fast zwei Meter groß mit lila Haut, die mit schwarzen Flecken am Hals und den Gliedmaßen durchzogen war. Zusätzlich verliefen über den Rücken grüne Schuppen, die sich in einem etwa fünfzig Zentimeter langen Schwanz endeten. Braune Haare umrahmten das schmale Gesicht mit einer kurzen, lila Nase und haselnussbraunen Augen. Der breite, rote Mund verbarg zwei Reihen kleiner, scharfer nach innen gebogener Reißzähne und eine gespaltene Zunge. Die drei braunen Brüste waren unter einem sehr eng geschnittenen Stoffstreifen verborgen, denn eine andere Bezeichnung hatte das Oberteil nicht verdient. Es war so eng dass die Brustwarzen wie Dornen hervortraten. Die Hose ließ auch mehr offen als sie verbarg, die schwarzen Schnallenstiefel reichten zu den beschuppten Knien.

„Wo warst du?“ geiferte die Frau und trat provokant auf Mathias zu, der einen Schritt zurückwich. Aus ihrer Nase schlugen blaue Flammen.

„Unterwegs. Ich hab etwas Geld verdient.“

Sie lächelte mütterlich während ihre Zunge aus dem Mund schnalzte. „Wirklich? Ich wusste ich kann mich auf dich verlassen, Schätzchen. Wie viel denn?“

Sie nahm Mathias in die Arme und drückte ihn an ihre drei Brüste. Mathias bekam einen Moment keine Luft, dann lockerte sie ihren Griff. „Das ist das Problem“, schnappte Mathias nach Luft, „dieser nette Mann hier ist gekommen es wieder zu holen. Nur ein Teil bleibt uns.“

„Du kleiner Wurm!“ fauchte sie und drückte ihn wieder an sich. Mathias begann sich zu wehren, doch ihr Griff war zu stark. „Warte doch“, presste er heraus, „zehntausend bleiben uns doch.“

Sie stieß ihn von sich weg und sank auf die Knie. Ihre Augen leuchteten wieder. „Zehn…tausend sagst du?“ Mathias war nun auch auf den Knien, jedoch weil er keine Luft bekam. Er atmete mehrfach tief durch bevor er antwortete. „Zehntausend.“

„Wo ist das Geld. Ich muss weiter!“ mischte sich Angel ein. Er warf den abgebrochenen Schlagstock in die Ecke und ging zum zerschlagenen Fenster. „Miro, starte den Wagen!“

„In der Tasche am Flur“, antwortete Mathias und führte den Eintreiber zu seinem Schatz. Angel nahm eine Handvoll der Kristalle heraus und warf sie Mathias vor die Füße. „Der Rest geht für die Dienste von Miro und mir drauf. Alles klar?“

„Wie viel?“

„Weil du da einen Hausdrachen hast, lassen wir dir achttausend. Viel Spaß. Und sollte noch einer von der Robotermafia hier auftauchen, sag ihnen folgendes. Dieser Planet gehört nicht mehr ihnen. Sie wissen an wen sie sich wenden sollen wenn ihnen danach ist eingeschmolzen zu werden. Schönen Tag noch.“


Gute Freundschaften

Mathias’ Frau räumte das Durcheinander das die Eintreiber hinterlassen hatten zusammen, während er auf dem Sofa saß und versuchte seine Finanzen zu ordnen. „Also Rosi“, er sah sich um in der Erwartung dass der Pate gleich durch die Wand brechen würde um ihm das Licht auszublasen, „hat gesagt er übernimmt alle Schulden. Somit wird außer ein paar Ausreißern niemand herkommen, und wenn doch verweisen wir sie an Rosi.“ Wieder sah er sich ängstlich um.

„Und wie viel Geld haben wir jetzt auf der hohen Kante?“ fragte die unbeeindruckt von seinen Schlussfolgerungen.

„Mal sehen. Ein paar Kleinigkeiten habe ich noch beim Anflug bestellt“, log Mathias um zu vertuschen dass Miro-Drago und Angel noch mehr Geld genommen hatten. „Dann bleiben in etwa noch 7500 übrig.“ Ein bisschen musste er als persönliche Reserve zurückhalten, denn seine Frau würde, ob es 10 Kredits oder eine Million wären, innerhalb einer Woche alles auf den Kopf hauen. „Zusätzlich brauche ich noch 4900 für Reparaturen an der Bianca. Das macht dann 1500 für uns bis ich wieder raus muss. Aber Rosi“, ein ängstlicher Blick folgte, „wird dafür sorgen dass der Dekan mich noch einmal anwirbt.“

„Ich hoffe nur es taucht nicht noch ein Bittsteller hier auf. Sonst feg ich ihn raus wie ich diesen Roboter rausgefegt hätte wenn dieser Angel ihn nicht demontiert hätte!“

„Natürlich, Schatz“, sagte Mathias beiläufig und fing sich einen giftigen Blick ein.

„1500 Kredits. Was machen wir heute?“

„Wir sind die reichsten Leute hier im Block. Gehen wir doch in den Club.“

„Ich will heute nicht noch mehr arbeiten. Die Arbeiter aus dem Asteroidengürtel sind auf Landeurlaub und die sind so grob“, jammerte sie.

„Nana, nicht zum Arbeiten, meine Liebe. Zum Amüsieren. Mal sehen was das Rehlein so treibt.“

„Na wenn das da kein Geist ist“, begrüßte der Türsteher des 24-Stunden-Clubs die beiden Gäste und reichte Mathias die Hand. „Analbert, wie geht’s?“

„Mal so, mal so. Komm rein. Tut mir leid, Madam, nur Menschen heute.“

„Albert. Sie ist meine Frau“, flüsterte Mathias und grinste.

„Ähm, gut. Dann rein mit euch, bevor das jemand sieht. Du warst schon immer seltsam.“

Danach führte er sie zu einem kleinen Tisch in hinteren Bereich des Clubs mit gutem Blick auf die Bühne. Dort führte ein Alleinunterhalter von Omicron Perseji seine Witze auf, doch da der Humor von Omicron dem eines überfahrenen Wiesels entspricht, waren die Gäste dementsprechend wenig an seinen Einlagen interessiert.

Nachdem der erste Drink gebracht und hinuntergestürzt war, erschien der Oberboss persönlich und baute sich vor den beiden Gästen auf. „Zurück von den Toten, Mathias?“

„Wieso sagen das alle? Aber es stimmt, ich bin wieder da. Zumindest bis mir wieder das Geld ausgeht. Rosi hat mich ja schon ganz schön ausgesaugt.“

„Sag das nicht zu laut. Er ist auch da, am anderen Ende des Clubs mit einem ganzen Haufen leichter Mädels und seinen Schränken.“ Der Besitzer machte eine ungefähre Deutung in die Richtung und beugte sich dann zu Mathias runter. „Wie viel hast du denn im Moment?“

„Sagen wir einen Großen“, antwortete Mathias vorsichtig.

„Dann bezahl mal deinen Zettel vom letzten Besuch und verschwinde wieder!“

„Das ist doch nicht wahr, Mathias, oder?“ tobte seine Frau los.

„Mal sehen was da noch offen ist“, setzte der Besitzer unbeeindruckt fort, „ein ganzer Haufen Drinks, die Rechnung für elf meiner Mädchen. Reife Leistung übrigens. Dann zwei Tische, acht Stühle, ein Fenster und der Kiefer meines Barkeepers.“

„Mathias, was hast du da getrieben? Elf Mädchen?“

Mathias begann zu schwitzen. Aus den dunklen Regionen seiner Erinnerungen kam langsam ein Schatten hervor. Die Erinnerung an die große Party, die er vor seiner Abreise gegeben und danach in Alkohol weggeschwemmt hatte. Wobei zu erwähnen ist dass er die Party mit leerem Geldbeutel gestartet hatte.

„Hör zu, Christopher, ich will hier einen schönen Abend machen. Ich gebe dir die 1000, dafür bekommen wir heute Abend eine gute Show geliefert. Deal?“

„Mathias, ich dachte es sind 1500?“ fragte da seine Frau. Mathias verzog den Mund. Was für ein Ausrutscher seiner Geliebten.

„Du hast eineinhalb? Dann haben wir einen Deal. Rück die Kohle aber sofort raus.“

Unwillig wechselte das ganze Geld den Besitzer und wenigstens einer verließ grinsend den Tisch.

„Danke, Schatzi, jetzt wird es ein kurzer Abend. Von meiner nächsten Reise bringe ich einen Knebel mit“, flüsterte Mathias und stürzte den nächsten Drink. Doch seine Frau schien ihn nicht zu hören. Sie starrte einfach auf die Bühne und murmelte ab und an: „Elf Mädchen. Er treibt sich mit elf Mädchen rum und kommt dann zu mir. Was für ein Mann…“


Schwarze Post und eine sehr lange Nacht

Der Abend wurde doch länger als erwartet weil der Barbesitzer doch ein weiches Herz zeigte und doch den einen oder anderen Drink aufs Haus schreiben lies.

So kehrten die beiden Turteltauben gegen drei Uhr in der Früh nach Hause zurück. Die Tür hing noch immer schief in den Angeln und in der Wohnung selbst herrschte noch immer dasselbe Chaos. Durch das Fenster waren Abgase eingedrungen, die sich über dem Boden zu einem dichten Nebel angesammelt hatten, den die Lüftung einfach nicht absaugen konnte.

Doch beiden war das ehrlich egal und nachdem sie sich von ihren Schuhen getrennt hatten führte ihr Weg direkt ins Schlafzimmer.

Doch in der Schlafzimmertür blieb Mathias wie angewurzelt stehen bis seine Frau ihm einen Stoß in den Rücken gab der ihn aufs Bett taumeln ließ. Regungslos blieb er dort liegen.

„Was denn los, Honey?“ säuselte sie bis Mathias das Objekt des Schreckens hochhob. Eine schwarze Pfingstrose mit einem Knoten über dem dritten Stachel.

„Was hat das zu bedeuten?“

„DAS ist ein Zeichen. Ein Zeichen dass ich mit meinem Leben abschließen soll. Denn ich drei Tagen wird mir da jemand nachhelfen. Irgendjemand hat einen Attentäter auf mich angesetzt!“

„Das ist ja furchtbar.“

„Furchtbar? Furchtbar! Ich soll getötet werden und du findest da Furchtbar? Ich nenne das eine Katastrophe. Ich muss Rosi anrufen. Oder den Dekan. Irgendjemanden der mich beschützen und hier wegbringen kann. In drei Tagen. Sonst…“

„Sonst was?“

„Werde ich einen sehr qualvollen Tod sterben. Schlimmer als tausend Tode.“

„Was weiß ich. Ich bin doch nur eine kleine unwissende Stripperin aus einem verlassenen Winkel der Galaxie.“

„Was soll das wieder bedeuten?“ schnauzte Mathias.

„Nichts, Honey. Mach dir wegen mir keine Sorgen.“

Mathias raufte sich die Haare. „Ich mach mir aber wegen mir Sorgen. Ich werde jetzt Rosi anrufen.“

„Interessiert mich einen feuchten M…. Wenn ich mein Geld kriege bin ich zufrieden. Ich werde auch mein Geld kriegen. Der Dekan erwartet dich morgen gegen zehn an der Startrampe. Er braucht wohl ein Äffchen“, beendete der Pate das Gespräch und hängte einfach auf bevor Mathias eine Antwort geben konnte.

„Was erfahren?“ fragte seine Frau und brachte ihm eine dampfende Tasse Kakao. Er nahm einen Schluck und verzog angewidert das Gesicht. „Ich hasse die Marsbohnen. Schmecken wie Mist.“

„Wir haben nichts anderes, Honey, ich hatte ja kein Geld zum Einkaufen.“

„Und dank deiner großen Klappe wirst du auch in nächster Zeit keins haben, außer du schaffst welches an. Der Dekan hat dieses Mal im Voraus bezahlt. Allerdings hat Rosi alles eingesackt, wir werden keinen lumpigen Cent davon sehen.“

Mathias stürzte das Getränk und unterdrückte den Brechreiz, dann streckte er sich auf dem Sofa aus. „Ich muss jetzt schlafen. Die Bianca hebt morgen mit mir ab, nur wenn ich nicht mit an Bord bin wird mein Kopf bald rollen.“

Seine Frau nickte und streifte ihr Kleid ab. „Und was wird aus mir?“

„Heute nicht, ich muss schlafen“, jammerte Mathias und drehte sich demonstrativ mit dem Rücken zu ihr. Sie packte ihn jedoch einfach bei den Schultern und drehte ihn um. „Es ist nicht so als ob du eine Wahl hättest.“


Mietschulden und Brechfest

Mathias Plan sich am Morgen unauffällig zur Startrampe zu schleichen, sich dort mit dem Dekan zu treffen und den Job hinter sich zu bringen bevor jemand Lunte riechen konnte schlug von vorn bis hinten fehl.

Bereits um sechs Uhr morgens wurde er durch ein penetrantes Hämmern an der Tür aus seinen von seiner Frau dominierten Träumen gerissen. Darin versuchte er ihr zu entkommen, doch wie immer entkam er nicht und endete schließlich auf dem Rücken.

Auch diesen Morgen schmerzte sein Körper von ihrer sehr unnachsichtigen nächtlichen Behandlung, vor allem der zerkratzte Rücken und der Mund, in dem sich wieder einmal Haare von ihr befanden, die Mathias einer Katze ähnlich in Form eines Haarballs ausspuckte. Dann schlurfte er jammernd zur Tür und sah sich seinem Vermieter gegenüber. Ein kleiner Marsianer (die gab es wirklich und sie waren nicht erfreut durch die Menscheninvasion, die ihren Planeten zu einer Streunerkolonie machten. Aber sie waren zu wenige und zu schmächtig um sich gegen die Menschen zu wehren), flankiert von einem speziell gezüchteten Gorilla scharrte bereits. „Du zahlen Miete nach, sonst Bobo dich quetschen zu Brei“, geiferte der Marsianer, was von einem Gurren des Affen begleitet wurde, der seine gelben Zähne fletschte und dann die Fäuste vor die Brust schlug.

„Hör mal zu Gyr. Ich sage es ganz langsam dass dein Erbengehirn es vor dem Gorilla hier versteht. Ich…habe…kein…Geld. Wenn…du…welches…willst…geh…zum…Paten. Er…hilft…dir…bestimmt…gerne…weiter.“

„Du machen Geschäfte mir Rosi?“ fragte Gyr vorsichtig. Der Gorilla war bei der Erwähnung des Paten ebenfalls zurückgewichen und ergriff als Mathias die Stimme erhob schnatternd die Flucht.

„Ich würde ihn nicht so nennen, an deiner Stelle. Aber ja, wir sind sozusagen Partner.“

„Dann alles gut. Bobo, warte!“ rief Gyr und spurtete seinem Affen hinterher. Wahrscheinlich würden sie den ganzen Tag nicht mehr aus ihrer Wohnung kommen, so groß war ihre Angst vor dem Paten.

Mathias wollte sich inzwischen wieder schlafen legen als gegen sieben Uhr ein Fahrzeug mit verspiegelten Scheiben und zwei Schränken auf den Vordersitzen vorfuhr. Bald darauf stiegen sie aus und holten Mathias samt Frau aus der Wohnung. Obwohl sich seine Frau mit Händen und Füßen wehrte wurden sie in den Wagen verladen und landeten gegenüber dem Paten. Er trug einen edlen Anzug mit sehr unpassenden Springerstiefeln. Die Krawatte war schief und schlecht gebunden, was aber möglicherweise das Werk der Begleitung des Paten war.

„Ich hoffe du bist fit, Champ. Heute ich dein großer Tag“, zischte der Pate und reichte Mathias ein Glas mit Erdenwhiskey. „Trink das, macht dich wach!“

Wortlos stürzte Mathias das Getränk und sah den Paten an. „Was willst du? Und warum muss sie mit?“

„Nennen wir es Sicherung der Ware. Ich weiß dass Gyr, dein Vermieter, bei dir war. Und bevor er mich anrief um zu fragen wer deine Mietschulden deckt, hat er eine ganze Latte von anderen Leuten angerufen die wohl bald deine Bude stürmen werden. Ist aber nicht in meinem Interesse, also bist du hier. Und sie ist sozusagen deine Begleitung, das Pfand und sollte dir etwas zustoßen meine Entschädigung. Erfahrung im horizontalen Gewerbe hat sie wohl genug.“

Mathias Frau knurrte böse und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Leute wie du ekeln mich an, Mister.“

„Leute wie ich leisten uns Mädchen wie dieses Geschöpf hier. Zu allem allzeit bereit und auf Knopfdruck im Stand-By. Die Krönung der Robotik, im Moment.“

„Faszinierend“, antwortete Mathias knapp und sah aus dem Fenster. „Wo fahren wir hin?“

„Durch das mysteriöse Verscheiden eines gewissen Geschäftsmanns bin ich jetzt Besitzer einer Imbisskette. Mal sehen wie sie sich macht, sonst reiß ich alles ab und lass was Profit bringenderes bauen. Ein Bordell vielleicht mit exotischer Besetzung?“ Aus dem Augenwinkel musterte er Mathias Frau. „Aber nicht zu exotisch.“

Sie hielten vor einer heruntergekommenen Spelunke in der Nähe des Ports. Die beiden Schränke stiegen aus und sahen sich um bevor sie die Tür öffneten und alle der Reihe nach ausstiegen. Der Pate, nun mit einer Sonnenbrille, lugte über den Rand. „Was für ein Loch. Da lohnt sich nicht mal ein Bordell.“

Sie traten ein und wurden in dem Verdacht bestätigt. Fleckige Wände, beschädigte Innenausstattung und ein Haufen pickliger Teenager aller Rassen hinter dem Tresen. Nun, da der Big Boss erschienen war, herrschte natürlich Panik unter ihnen.

„Einmal Frühstück für den Champ hier und eine Morgenlatte.“

„Das macht 5,99.“

„Ich bin dein Boss, Würstchen. Außerdem hab ich ne Morgenlatte umsonst. Du bist gefeuert. Und du erledigst den Job!“ befahl der Pate und deutete auf den nächsten Mitarbeiter der sich sofort nervös an die Arbeit machte und am Kaffee verbrühte.

„Dante, ruf Angel an und sag ihm er soll den Space-Port sichern. Alle, die mir nicht passen werden, sollen verschwunden sein wenn wir hier fertig sind.“

Der Schrank nickte und verschwand nach draußen. Währenddessen nahm der Pate den Laden genauer unter die Lupe, Mathias und seine Frau wurden von dem anderen Schläger an einen Tisch gesetzt.

Schließlich wurde alles bestellte serviert und Mathias begann langsam und vorsichtig die Eier mit Speck zu löffeln. Die Eier hatten einen leicht grünen Schimmer, der Orangensaft war auch zu hell. In seinem Verdacht bestätigt spuckte schließlich der Pate seinen Kaffee aus, an dem er kurz geschlürft hatte. „Alle gefeuert. Die Bude wird noch heute abgerissen! Frühstück fällt aus, außer du willst den Dreck fressen.“

Mathias schüttelte den Kopf und stand auf. Dann folgte er in sicherem Abstand dem Paten nach draußen. Nur die Roboterfrau blieb sitzen und stopfte schließlich alles mitsamt Teller, Besteck und Tablett in den Mund. „Köstlich.“

Danach verließ sie mit dem Hintern wackelnt und klapperten Schuhen das Lokal, in dessen Fenster bereits das Geschlossen-Schild hing. Ein Bautrupp stellte Schutzblenden auf und als der Wagen des Paten losfuhr, wurde schon die erste Wand eingeschlagen.


Testreihe Zwo

Draußen brüllte der Pate bereits in ein Sprechgerät. „Mir ist egal ob das der letzte McDonalds ist. Das Ding wir abgerissen. Klar?“ Er knallte das Gerät auf den Boden dass es zerbrach. „Dante, ich brauch einen neuen.“

„Kein Problem, Boss“, kaute der Hüne und nahm hinter dem Steuer Platz. „Schon Viertel nach Acht, Boss.“

„Dann kommen wir mal in die Runden.“

Die Fahrt dauerte nicht lange, denn sie blieben im Frühverkehr stecken. Hier war es von Nachteil kein Hooverauto genommen zu haben. Schließlich ließ der Pate alle aussteigen, außer Dante, und so liefen sie zusammen zum Raumbahnhof. Dort herrschte bereits wieder reges Treiben, hauptsächlich verursacht durch die Söldnertruppe, die unter Befehl von Angel versuchte den Raumhafen zu räumen.

Zwischen verärgerten Reisenden und Händlern scharten sich auch einige alte Bekannte von Mathias, die mit Schuldscheinen wedelten. Anscheinend war seine Abreise Gesprächsstoff Nummer Eins.

„Gibt es eigentlich jemanden aus diesem Planeten, dem du kein Geld schuldest?“ stöhnte der Pate und bahnte sich einen Weg zu seinen Männern. Dann gab er kurze Befehle, die die Situation bald schon beruhigten.

Inzwischen war auch der Dekan erschienen und wechselte zuerst einige Worte mit dem Paten, danach tauschten sie Dokumente und Geld aus. Schließlich winkte der Pate Mathias zu sich. „Hier. Damit bist du nach deiner Rückkehr absolut schuldenfrei, dafür sorge ich. Dafür gehört deine Frau jetzt mir, nach deiner Rückkehr die Bianca und in einem Monat deine Wohnung. Alles klar?“

„Und wo soll ich hin?“

„Wir finden einen Job für dich“, zwinkerte der Pate und reichte Mathias die Hand. „Schlag ein, ich hab nicht ewig Zeit.“

„Was wird aus ihr?“ fragte Mathias und deutete mit dem Kopf zu seiner Frau.

„Sie wird ihren Job im Club machen, neue Leute kennen lernen und dich bald vergessen haben. Ist besser für euch beide.“

„Mein Rücken wird es dir danken“, antwortete Mathias und schlug ein. Im selben Moment hatte er ein Sklavenarmband der Raumgilde am Handgelenk. „Ach ja, und du gehörst vorerst dem Dekan. Das war der Deal. Viel Glück noch.“

Der Pate drehte sich um und ging zu seinen Leuten. Mathias sah gerade noch wie seiner Frau ebenfalls ein Sklavenarmband angelegt wurde. Dann führten ihn zwei Chamäleoniten bereits zum Schiff des Dekans, an dessen Bauch die Bianca befestigt war.

„Wohin geht die Reise?“

Aber Mathias erhielt keine Antwort von seinen Wächtern und fand sich bald auf der dunklen Brücke der Bianca wieder. Dröhnend startete das Schiff des Dekans und verließ den Mars.

Der Zentaur auf dem Deck kaute auf einer Speckseite herum während er sich mit dem anderen Vorderhuf an den Hörnern kratzte. „Wakka?“

„Ich spreche eure Sprache nicht“; antwortete Mathias und sah den Piloten fragend an. Dieser hielt ihm die Speckseite hin. Daraufhin schüttelte Mathias den Kopf. „Danke, verzichte.“

„Undankbarer Mensch“, knurrte der Pilot und fuhr mit seinem Sessel ans andere Ende der Konsole. Da betrat der Dekan die Brücke und klopfte in die Hufe. „Normalerweise nehme ich jeden Menschen nur ein Mal. Aber bei solchen tatkräftigen Argumenten…“ Er lachte verhalten und nahm auf dem Kommandosessel platz.

„Worum geht es, Dekan?“

„Wir wiederholen das Experiment vom letzten Mal, falls du dich mit deinem beschränkten Gehirn, das du zu nicht einmal einem Zehntel benützt, erinnerst. Allerdings wird die Beschleunigung verdoppelt, mindestens verdoppelt. Hoffe ich zumindest. Falls dein Schiff zerbrechen sollte, na ja. Auf jeden Fall sind wir gleich bei unserem Zielplaneten. Du könntest an Bord gehen.“

„Wir sind noch immer im Marsorbit.“

„Ja und? Dein Freund meinte wohl er macht ein gutes Geschäft. Dabei hätte er doch wissen sollen dass diese Streunerkolonie hier nicht mehr tragbar ist. Da kommt ein solches Experiment wie meines dem Rat gerade recht um das Problem nicht kostspielig lösen zu müssen.“

„Da unten leben tausende Menschen und sonstige Wesen“, protestierte Mathias.

„Die Bürger der wichtigen Welten sind informiert worden und haben den Planeten verlassen. Das da unten ist für uns nur noch Müll, kann man das so sagen?“ Der Dekan wartete die Antwort erst gar nicht ab. „Ja, Müll. Dann machen wir ihn weg. Hopp, hopp. An Bord. Start der Sequenz in dreißig Erdenminuten. Solange diese Zeitrechnung noch was gilt.“

Mathias schnappte nach Luft, doch da packte ihn ein Wachmann und schleppte ihn unsanft zu seiner Bianca. Zwei ähnlich dem Gorilla von Gyr trainierte Schimpansen befestigten fröhlich schnatternd die Gurte an dem Piloten und stellten die Instrumente ein. Dann hangelten sie sich nach draußen und schlossen die Schleuse.

Ich muss sie warnen, dachte Mathias und aktivierte die Kommunikationseinheit. „Hallo, hört mich jemand auf dem Mars. Dieses Schiff, von dem ich sende, wir den Planeten bald zerstören Hallo?“

„Raus aus dem Funknetz, du Freak“, kam die Antwort der Flugleitstelle des Raumhafens. Darum wählte Mathias die Adresse des Paten direkt an. „Rosi, du hast ein Problem. Traue keinem Zentaur, vor allem nicht wenn er deinen Planeten rösten will.“

„Nenn mich nicht Rosi!“ schnaubte der Pate und erschien auf dem Bildschirm, „und was laberst du?“

„Der Dekan will den Mars ausradieren“; antwortete Mathias kurz.

„Du nimmst mich auf den Arm. Wenn dir langweilig ist, nerv die Flugüberwachung. Ich hab zu tun. Ende und aus!“

„Mutterschiff an Bianca. Start in fünf Sekunden.“

Mathias sah nach unten. Das Flimmern, das über die Atmosphäre ging, die Energieballung, die sich über dem Nordpol bildete. Dann das Glühen, das die Kontinente erfasste, alles Wasser verdampfte und dann den Fels zerbrechen lies. Hinter der Bianca entwickelte sich eine Beschleunigungswelle. Wie von einer gigantischen Faust getroffen flog das kleine Schiff los. Die Heckflossen rissen durch die Belastung wie dürre Zweige ab und Mathias wurde so tief in den Sitz gepresst das er das Gefühl gleich zerquetscht zu werden.

Auf dem neuen Sensorenschirm sah er die Markierungspunkte, die der Dekan entlang seiner Flugbahn gesetzt hatte, vorbeiziehen. Meist waren es Sonden, ab und an kleinere Schiffe. Eines der Schiffe wurde gerade von Piraten geentert und die Crew verließ unfreiwillig ihr Schiff durch die Schleuse.

Plötzlich ging ein Ruck durch das Schiff, bei dem Mathias meinte es würde gleich zerbrechen. Doch der Ereignishorizont überdehnte sich noch einmal und plötzlich stand das Schiff still. Rund um es herum war nichts, nur tiefe Schwärze und Stille. Innerhalb der Reichweite aller Instrumente war nichts, überhaupt nichts.

„Computer. Frage: Lage?“

„Negatives Ergebnis. Frage kompensieren.“

„Wo sind wir?“

„Negative Antwort. Keine verwertbaren Parameter verfügbar.“

„Na toll. Gefangen Irgendwo im Nirgendwo. Die Heimat verbrannt von einem irren Wissenschaftler. Kann es noch schlimmer kommen.“

Da leuchtete der Bildschirm auf und ein Hologramm des Dekans erschien: „Wenn meine Berechnungen stimmen, Äffchen, befindest du dich jetzt im Nullraum. Dort ist entweder alles oder nichts, und es ist deine Aufgabe herauszufinden was da ist. Es wird wohl keinen Weg geben dich zurückzuholen, aber das ist eben der Preis. Wir werden dein Signal irgendwann empfangen. Aber du wirst dann schon lange zu Staub zerfallen sein. Auf Wiedersehen, mein Äffchen. Traue niemals einem Zentauren. Hahaha!“

„Toll, wirklich toll“, murrte Mathias und sah sich um. Da waren nur seine Sachen sonst nichts. Und natürlich die Leere des Nullraums.

Was der Attentäter wohl denken wird wenn er mich nicht findet? Oder war er auf dem Mars als er ausgelöscht wurde? Viele Fragen huschten durch Mathias Geist sodass er das grelle Licht am Ende der Schwärze nicht entdeckte.


Gott ist ein Huhn?

Plötzlich war etwas anderes an Bord der Bianca.

Mathias spürte es sofort und schreckte aus dem Schlaf hoch. Seit er alle Uhren zerstört hatte wusste er gar nichts mehr. Waren nur Stunden vergangen? Oder Tage, Wochen?

Zeit war hier irrelevant, Ort war hier irrelevant. Alles für die Katz wenn man der letzte Mensch auf Erden ist. Stimmt denn das? Es gibt keine Erde mehr, keinen Mars, wahrscheinlich keine Menschen mehr. Außer in ein paar Zoos, zur Belustigung einiger Kinder.

Der Mensch macht Männchen. Gib ihm ein Happa.

Da war jetzt aber etwas. Hinter ihm. Langsam drehte Mathias sich um und sah eine seltsame Lichterscheinung im Raum schweben. Als er sie genauer betrachten wollte nahm sie eine Form an. Die Form eines riesigen Huhns, das mit der linken Kralle am Boden scharrte und dann nervös zu gackern begann.

„Ich glaube ich bin wahnsinnig geworden. Da steht ein Huhn im Raum“, murmelte Mathias und rieb sich die Augen. Da legte das Huhn doch glatt ein Ei auf seine Brücke.

„Hey, ein Frühstück!“ rief Mathias und stand auf.

„Finger weg. Das ist der neue Messias!“ gackerte da das Huhn. Erschrocken sprang Mathias in seinen Sessel zurück und riss die Arme hoch. „Tu mir nichts.“

„Natürlich werde ich den ersten Menschen seit ich euch erschaffen habe, der es bis zu mir schafft töten. Was für ein Gott wäre ich?“

„Ein schlechter Gott?“ fragte Mathias und überlegte parallel. Ein Gott?. Gott ist ein Huhn?

„Das könnte hinkommen. Also was willst du?“

„Was ich will?“

„Du wirst ja wohl auf der Suche nach mir gewesen sein wenn du schon hier landest“, antwortete das Huhn und scharrte weiter.

„Ich weiß nicht. Vielleicht nach Hause. Da fällt mir aber ein dass mein Zuhause weg ist. Zwei Mal von irgendwelchen Außerirdischen zerstört.“

„Argh, das meine Schöpfungen sich immer gegenseitig zerstören müssen“, ärgerte sich das Huhn und sah das Ei an. „Und mein Sohn tut ja auch selten was dagegen. Das letzte Mal als ich ihn raus gelassen habe, ließ er sich an ein Kreuz nageln.“

„Und jetzt? Was wirst du tun?“

„Alles wieder herstellen. Schließlich bin ich Gott. Alles zurück zum Ursprung, der Messias auf die Welt und mal sehen wie sich dieses Mal die Dinge entwickeln. Oder hast du eine bessere Idee?“

„Das nächste Mal vielleicht nicht als Huhn auftauchen? Und mich mit einer Alienfrau bestrafen?“

„Mal sehen wonach mir ist. Aber das mit dem Huhn werde ich beherzigen.“ Da gackerte das Huhn.


Alles beim Alten – nur Gott ist jetzt ein Hahn

Die Bianca schwebte im Orbit über der Erde. Welch Perle in diesem Sonnensystem. Daneben der graue Mars, gerade besiedelt und am Siedepunkt des Terraformingsprogramms. Mathias verfolgte den Datenstrom und stellte fest dass die Ladung komplett war. „Alles zum Starten vorbereiten!“

„Antrieb bereit“, antwortete der Zentaur am Steuer und sah über die Schulter. „Nicht schlagen, bitte.“

„Warum sollte ich Sie schlagen, Durgal. Sie machen Ihre Sache doch gut.“

„Danke, Herr“, schleimte der Pilot und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

„Waffen bereit. Aber keine Piratenaktivität“, meldete Dag Durnik von hinten. Auch er zog den Kopf in Erwartung von Prügeln ein.

„Keine Sorge, Dag“, beruhige Mathias ihn, „es gibt keinen Grund Angst zu haben. Außer vor meiner Frau.“ Er lachte, doch in diesem Moment öffnete sich zischend das Schott zur Brücke.

„Mathias!“

Der Kapitän der Bianca sank in seinem Sessel zusammen und zog den Kopf ein. „Ja, Schatzi?“ Vorsichtig drehte er sich um und sah seine wunderschöne Frau an, die im Moment leicht rot vor Wut war.

„Warum ist deine Koje nicht aufgeräumt?“

„Macht ich sofort, Schatz“, sagte Mathias und sprang auf. Während das Schiff sich langsam in Bewegung setzte schlich er zu seinem Quartier, unter den wachsamen Augen von Bianca. Die beiden anderen Crewmen grinsten sich an, wohl wissend dass nicht nur sie einstecken mussten.

Als Mathias seine Koje zusammenräumte erschien in einem Nebelgebilde der Kopf eines Hahns. „Besser so?“

„Sie sind noch immer ein Huhn? Wie soll ich Sie eigentlich nennen?“

„Irgendwie gefällt es mir als Huhn. Und nenn mich Doug.“

„Also Doug. Alles schön und gut. Nur mussten Sie mich mit diesem Drachen bestrafen?“

„Den hast du dir doch selber ausgesucht“, lachte Doug und verblasste langsam. „Grüß den Paten von mir“, rief er bevor das Gebilde ganz verschwand.

„Den Paten?“ murmelte Mathias. Da aktivierte sich auch schon ein Kommunikationskanal und ein bekanntes Gesicht erschien. „Alles senkrecht, Champ?“

„Kann nicht klagen, Rosi.“

Der Pate verzog sein Gesicht. „Nenn mich nicht so. Gute Nachrichten. Die Schulden sind nun beglichen und ich glaube dass…“

Mathias hörte nicht mehr hin. Dieses Sternentagebuch würde viel besser laufen als sein Altes. Sein altes Sternentagebuch, das versteckt unter seinem Kopfkissen lag und die Ereignisse zusammenfasste bevor er Gott – Doug – traf.

Unbewusst hob er das Kopfkissen an und erschrak. Es war weg. Da betrat Bianca die Koje und musterte sie abschätzig. Sie hielt das Buch in Händen. „Statt solch seltsame Geschichten zu schreiben solltest du öfter aufräumen. Aber für den Moment reicht es. Machen wir lieber etwas Schmutz. Oder etwas schmutziges?“

Das ist eine Realität die mir gefällt.

Nicolai Rosemann