19.12.2011

Schuld?

 

Flashbacks, Träume und ähnliches Übel III - Erinnern Part II

Verzweifelt und angewidert sitze ich mit der Verwunderung, dem Selbsthass und der Bestürzung auf der Couch. Auf dem Tisch ausgebreitet liegt eine Kiste Erinnerungen in der die drei munter herum wühlen. Immer wenn einer von ihnen, quietschend vor Freude über einen Fund, aufgeregt auf dem Sofa rumhüpft, kriege ich das kalte Grauen.

Die letzten Tage und Nächte sind ein Ausnahmezustand und irgendwie quälend an mir vorüber gezogen. Das Herumstochern in dunklen Winkeln meiner verschlossenen Hirnschubladen erweist sich als nervige Tortur. In der Theorie war mir bekannt dass die bewusste Erinnerung an einzelne Erlebnisse inkomplett, gefühlsmäßig gar nicht vorhanden und voller Barrieren ist. Viele Versuche der Durchleuchtung sind über mehr als ein Jahrzehnt immer wieder kläglich gescheitert und durch neue reaktiv gestaltete Dummheiten erweitert worden.
Langsam fangen modrige Fundamente an zu bröckeln und legen immer neue Bruchstücke unzugänglicher Empfindungen und Erinnerungen frei. Das Erinnern ist als würde man eine Zwiebel schälen, Schicht für Schicht arbeitet man sich weiter ins Innere vor und die Augen brennen fürchterlich dabei.

Nach langem Leugnen, unbewusster Ignoranz und auch Ungläubigkeit hat der Verstand jetzt endlich erfasst dass er der Vergangenheit nicht entrinnen kann. Immer wieder Löcher zu stopfen, die sich an anderer Stelle doch wieder neu bilden, ist doch nur Flickwerk das nicht lebenswert ist. Ungläubig sitze ich dabei wie meine drei Kistenkramer Zugänge öffnen, die mir unbekannt waren.
Die Fassungslosigkeit begleitet mich ebenso wie der Selbsthass, der sich von der Couch auf meinen Schoß geschwungen hat. Selig kuschelt er sich an mich während auf der anderen Seite die Scham unaufhörlich in meine Rippen boxt. Die Erkenntnis sitzt auf dem Tisch und grinst, das Wort Gnade ist ihr unbekannt.
Wohin ist die Gleichgültigkeit, die eingehakt bei der Leere die Türen zur Empathie bewachte? Wer hat die Grenzen verwischt zwischen den Teilen meiner Selbst, die keinen Zugang zueinander hatten? Und wo war diese gottverdammte Moral als sie Vieles hätte verhindern sollen? Warum kommt sie jetzt und nimmt mir die Luft die ich atmen muss.

Immer wieder versetzt mir die Selbsterkenntnis einen Keulenschlag. Ich fürchte auseinander zu springen, die Last ich selbst zu sein drückt stetig und ausdauernd auf mir. Ich bin verachtenswert. Die Reue tanzt mit der splitternackten Scham auf meinen Nerven herum. Der Selbstrespekt wurde von ihnen in irgendein dunkles Verlies gesperrt. Ich bin selbst dieses wertlose Leben nicht wert. Wie konnte ich mir selbst und anderen solche Dinge antun. Und antun lassen. Ich suche und suche und finde keine Antwort darauf. Wie dumm war ich nur? Ich will diese tollen Erkenntnisse nicht. Wem nützen sie jetzt noch?
Aber hey, ich war ein Kind...

(1990/2009)

16.12.2011

Nihilismus

Ohne Ende, ohne Anfang mäandert der krude Gedankenstrom mal wieder durch den berstenden Kopf. Schnappt sich hier und da ein paar verstaubte Dinge um sie dann in die nächste Ecke zu schmeißen, so bald etwas vermeintlich Interessantes auf dem Förderband des kognitiven Abfalls auftaucht. Eben der altbekannte Trott.

Doch manches Kleinod der von mir erzeugten Bestleistungen, scheint sich im Kreis immer wieder zurück zum Verfasser zu bewegen. Taucht immer wieder auf, selbstinduziert, von außen aufgezwungen oder einfach immer in einer Hirnstube seine Späße treibend. Wie die Wasserleiche, die irgendwann, ihrer Gasfäulnis erlegen, an der Oberfläche erscheint und ihren entzückten Entdeckern einen heiteren Tag beschert. Ich habe die Ehre so einige aufgetriebene Leichen mein Eigen nennen zu dürfen. Da sie sich so keck und vorwitzig immer wieder in den Mittelpunkt drängen, sollen einen Platz bekommen, im Kabinett der gelebten Peinlichkeiten.

Ich kann die Schlagzeilen der dämonischen Boulevardpresse nahezu vor mir sehen:
"Spaziergängerin macht grausigen Fund - Kopflose Trauer in Garten gefunden"
Essen.
Einer Spaziergängerin bot sich am Abend im Garten ihrer Nachbarin ein grausiges Bild. Die junge Frau befand sich in Begleitung ihres Pudels auf dem Verbindungsweg zwischen den Straßen "Elsterweg" und "Im kleinen Winkel", als sie auf drei völlig verstörte Kinder traf.
Wenige Meter weiter, an der benachbarten Giebelseite des Elternhauses der zuvor genannten Kinder, machte die Frau eine unfassbare Entdeckung: Neben dem Haus, angrenzend an die Terrasse und halb durch ein Gebüsch verdeckt, lagen die zerteilten Überreste eines grausam entstellten Trauergefühls.
Das Opfer wurde offensichtlich mit einer scharfen Waffe in der Körpermitte und ebenso am Hals durchtrennt. Wie es zu dem Vorfall kommen konnte, ist zurzeit noch völlig unklar. Eine Beteiligung des allseits bekannten und ortsansässigen Irrsinns wird bereits schon jetzt angenommen. Über den Verbleib des Kopfes und der übrigen Gefühle der Besitzerin ist noch nichts bekannt.
Die junge Passantin erlitt einen Schock und wurde seelsorgerisch betreut.
Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.


Ja, wo sind se hin? Die Gefühle, die jeder selbsternannte Moralapostel und Durchschnittsbürger empfindet, bevor er seinen Mitmenschen gnadenlos für sein Handeln und Nichtfühlen verurteilt.
Irgendwo auf dem Weg sind die Dinger uns wohl abhanden gekommen, oder an Orte gelangt, an denen sie keinen Sinn ergeben.
Unser Nichts, in dem Erinnerungen ohne Wertung verschlossen sind. Nicht weiter getragen werden dürfen weil sie pietätlos und/oder verboten sind, nicht zum Erlebten und Empfinden der anderen passen und ihre Gefühle verletzen.
In unzählige Teile gekloppt und abgespalten in Ecken in denen sie keiner finden kann und soll. Wegkonditioniert von Subjekten, die selbst keine besitzen. Die Mitleid nicht einmal im Lexikon suchen würden. Mitleid und Trauer für uns selbst, zwei Worte, die für alle anderen zu regelnden Emotionen ein Anfang sein könnten...

(2010)

05.12.2011

Perfektion und Chaos Part I

Perfektion - meine unsensible Nervensäge, ist ein unmögliches Luder, das mich oftmals nahezu in den Wahnsinn treiben kann. Dieses Luder hat ganz ureigene Gesetze, die mitnichten glasklar vor Augen liegen und sich noch dazu nicht gerade mit der Logik verbündet haben. Das Streben nach persönlicher Perfektion, Ansprüchen und Vorstellungen ist ein sonderbar Ding, welches mitunter schon arg seltsame Blüten treibt. Die Anstrengung dahinter ist nicht nur der Aufwand, sondern viel eher noch das Wissen es doch nie gut genug gemacht zu haben. Orientierung an Maßstäben, die kaum jemand erreichen kann. Die Angst vor dem Mittelmaß immer im Gepäck. Und doch auch die Sehnsucht selbiges zu akzeptieren, nein anzustreben und anzunehmen. Schaff es einfach nicht.

Bliebe zu erwähnen dass Vieles ganz einfach vor lauter Perfektionsstreberei auf der Strecke bleibt. Lieber völliges Chaos als zweifelhafte Ordnung. Eine nach meinen Vorstellungen aufgeräumte Wohnung dürfte man nicht mehr betreten. Jeder Brotkrümmel fällt mit der Wucht einer Gerölllawine auf den frisch geputzten Tisch. Jede normale Nutzung des gereinigten Wohnzimmers empfinde ich als ausgemachten Boykott. Kann nicht ertragen, den gerade gespülten Topf wieder auf den Herd zu stellen. In meinem frisch gesaugten Auto darf keiner sitzen, zu schmerzhaft jedes neue alles zerstörendes Haar. Der Teil in mir, der sich totlacht über die pingelige Schrulle in ihrem Monk'schen Wahn, auch ihn verstehe ich nicht. Eine Jacke mit ausgefransten Bündchen zu tragen fällt in sein Resort, während die unteren Etagen unter der Knute der nörgeligen Prinzessin ihr makelloses Dasein fristen müssen.
Die Vorstellung mit unrasierten Beinen und Genickbruch, frisch verunfallt, auf einer Bahre zu liegen, treiben ihr den blanken Angstschweiß auf die Stirn. Ein wildwachsendes Haar der ungezupften Augenbraue, vermag sie nicht in Erwägung zu ziehen ohne anschließenden Myokardinfarkt (selbstredend erst nachdem Fingernägel akkurat gekürzt und die Socken auf Löcher überprüft wurden).

Auch an Arbeit und Hobbies ist nicht zu denken ohne ganz vorne mit dabei zu sein. Eine schiefe Naht am selbst erstellten Pullover ist möglich, aber nur für den ganz privaten Gebrauch. Etwas herzustellen für andere geht selten gut. Kein Ergebnis ist auch nur annähernd ausreichend um es ernsthaft zu präsentieren. Fehler sehen andere meist nur durch meinen bescheidenen Hinweis dass das Endprodukt eigentlich für die Tonne war. Schiefe Linien, ungleiche Striche oder Abstände haben so manches Mal dafür gesorgt dass ich beinahe den Verstand verlor. Die Gewissheit das Bauamt könnte den Bauantrag ablehnen weil der Baum im Grundriss zwei Millimeter zu weit links, im Vergleich zur Vorderansicht gezeichnet ist, geht mir so lange nicht aus dem Kopf bis mindestens das Richtfest stattgefunden hat. Und anschließend werte ich den sich damit zufrieden gestellten erst einmal ab.
Rechtschreibfehler sind Nägel an meinem Sarg. So kann es durchaus vorkommen dass ich zufällig gefundene Vertipper in einem Internetforum auch dann noch korrigiere wenn kein Mensch den Beitrag mehr liest weil er nach zwei Jahren bereits in den Tiefen des Datennirvanas verschwunden ist (ich schwöre, ich schick den Text hier gleich ohne Korrekturlesen ab!!).

Der andere Part in mir tippt sich wild gestikulierend an die ungewaschene Stirn. Ihn kümmert das alles nicht. Denn wie ist es zum Beispiel zu erklären dass ich niemals nach dem Aufwachen unter Hinterlassung eines ungemachten Bettes den Raum verlassen kann, während sich auf der Fensterbank Zeitungen stapeln und die Wollmäuse unter dem Bett schon nicht mehr lebendig, sondern wieder zu Fossilien geworden sind?
Doch wehe irgendwer kommt zu Besuch. Zwei Wochen Hardcoreputzen sind mindestens dabei. Kein fremdes Wesen darf die Wohnung betreten bevor nicht meine innerliche kritische Abnahme stattgefunden hat. Selbst Suizidabsichten wurden schon durch noch vorhandenes Leergut und ungeputzte Badezimmerfliesen vereitelt!

Der Widerspruch ist selten weit. Ein winziger Mitesser ist kaum auszuhalten während der Saum der Hose beharrlich sein Schweigegelübde demonstriert, ob der Tatsache die guten Tage weit hinter sich gelassen zu haben.
Schiefe Bilder? Nicht mit mir! Obwohl ich mir beim Geraderücken die Finger versaue, am wochenalten Staub. Die Spinner schlagen dramatische Schlachten in mir! Kopf und Bauch liegen sich immer im Klinch. Damit muss ich wohl leben, Hauptsache beide sehen gut aus dabei!

Leider machen diverse Spleens auch nicht vor anderen halt:
Ich stehe an einer Ampel, vor mir eine Frau, deren Kapuze mich keck mit ihrer rausgestülpten linken Seite anstarrt. Von einem Bein auf das andere wippend, werde ich langsam aber sicher nervös. Dieses Teil scheint mir dreist seine Zunge heraus zu strecken, als die Ampel auf Grün umschaltet. Wegen dem Menschenpulk um mich herum ist es mir nicht möglich mich an der Frau vorbeizuschieben, was eine Pein zu werden droht, da ich den Blick nicht mehr von diesem verdammten Kleidungsstück wenden kann. Ungünstigerweise läuft dieses Kleidungsstück noch eine ganze Weile vor mir her. Den Impuls unterdrückend diese blöde Kapuze auf rechts zu drehen, laufe ich frustriert weiter hinter ihr her. Unkorrekte Kapuzen gehen einfach nicht. Ein Punkt an dem sich die Leutchen im Kopf mal absolut einig sind...