02.03.2010

165 Minuten Leben - 21.02.10

Wochenende - Achterbahn, Sonntagnachmittag, der Absturz naht. Entspannungsversuche zwischen Zeittotschlagen und krampfhaftem Beschäftigungszwang. Resignation wegen des Ernährers, der sich ungeplant und entgegen seiner Ankündigung verpisst. Nachdem bereits gestern die unverhoffte Lust auf einen Besuch im Ruhr Museum wegen erheblicher Verspätung nach dem samstägigen ungeplanten Verpissen des Ernährers eins auf den Deckel bekam.

Rumhängen im Netz, Abgrasen von Skillslisten und Schwerstarbeit im Kampf mit dem Dämonenclub, der sich anfühlt als müsse man mit einer Hand 20 Korken gleichzeitig unter Wasser drücken. Stichwort Wasser, abtauchen in die viel zu heiße Badewanne, endlich mal wieder möglich da keine akuten Massakrierungszeugnisse im Weg. Zwischendurch das ungewohnte Gefühl dass da doch irgendwann mal mehr gewesen ist.

Immer wieder grinsen mich Verzweiflung und Selbstverachtung erst vom Wannenrand und später vom Schreibtisch aus blöde an.
Als der Mediaplayer anfängt ihnen auch noch unterstützend die passenden Lieder zuzuspielen, mir die Trauer die geballte Faust in den Magen rammt und nach den Klingen schreit, purzelt mir ein ungewohnter Impuls durch den Kopf. Raus hier! Antriebsgeschwängert schnapp ich den Dackel und den Autoschlüssel und flüchte aus meiner Burg. Beim Verlassen des Hausflurs erscheint auf meiner Schulter eine schwarzgewandete grinsende Gestalt. Die Nachbarin von gegenüber guckt mich ganz skeptisch an als ich kichernd über die Straße laufe. Ich kann sie verstehen, schließlich kann sie nicht wissen dass Dr. R. mit seinem Stoppschild, "Sie müssen sich pflegen" leiernd auf meiner Schulter sitzt.

Die Luft riecht nach milder Vor-Vorfrühlingsluft und macht den Kopf irgendwie leicht. Das Gaspedal fühlt sich gut an, beachtenswert dass sich überhaupt was fühlt. Almana Shchora gröhlen mir "Habricha" in die Ohren und braten der ganzen fiesen Bagage so feste eins über, dass der Selbsthass hinterm Heck auf den Asphalt klatscht. Ob ich noch mal rückwärts drüber fahren soll? Schaff ich noch nicht.

Keine Ahnung wohin, der Weg ist das Ziel. Dr. R. nickt mir eifrig zustimmend zu und wirft ein "Aus Spaß an der Freud" hinterher ;)
Beim Runterschalten vor der Kurve das nächste Wunder, Kopf und Körper erscheinen irgendwie fast eins. Die dämlichen Dämonen gucken natürlich zwischendurch wieder rein. Schleichend und heimlich bohren sich Wehmut und Melancholie durch den Sitz, erinnern mich daran dass es Zeiten gab in denen es häufiger so war, alle Straßen waren mein. Doch die Vernunft schickt ein "Aber" hinterher und rückt die Wirklichkeit wieder zurecht und sie hat Recht, hat doch nie alles gestimmt. Der Rückweg von Bochum ist mir irgendwie zu kurz, der Dackel guckt sehnsüchtig zwischen die Bäume neben uns. Eh ich mich verseh steh ich auf dem weichen matschigen Waldboden und halte die Nase in die Luft, die Sinne explodieren, da ist es, das Gefühl noch am Leben zu sein...

Dunkel zeichnen sich die kahlen Bäume vom grau-blauem Himmel ab, faszinierendes Spiel. Ich kann nicht aufhören sie anzustarren. Als ich nach Kaugummi suche, fällt mir die Kamera zwischen die Finger. Meine zweite Schulter wird plötzlich schwer. Von der Seite grinst Herr R. mich an. Gute Güte, ist es tatsächlich so weit gekommen dass ich mit dem Wattenscheider Klinikpersonal auf den Schultern durch die Wälder renn? Aber Recht hatter doch. Die Bäume sehen viel zu verlockend aus um sie undokumentiert zu lassen. Die ersten Bilder gefallen mir richtig gut. Was war das? Hab ich da etwa den Anflug von Zufriedenheit gespürt? Der Dackel wühlt schnaufend den Boden auf während ich es schaffe zwischen den mittlerweile schwarzen Baumkronen zu versinken und alles um mich rum zu vergessen.

Jetzt hab ich Blut geleckt, will mehr davon, will mitten drin sein in dieser sonderbaren außerburgischen Welt.
Die Entspannung guckt hinter der Scheibe vom Armaturenbrett hervor und versucht sich zaghaft durch die Dichtung zu quetschen. Noch eine Windung und sie hat es geschafft. Strahlend klettert sie auf meinen Schoß. Dr. R. tätschelt ihr von oben wohlwollend den Kopf.
Vom Antrieb angeschubbst biege ich vor der A40-Auffahrt einfach nicht nach Hause ab, da geht noch was. Ich müsste sowieso noch tanken...
Waghalsig und todesmutig stürze ich mich auf die Bahn, die Beklemmung bekommt von Dr. R. einen unsanften Tritt. Mit Pink Floyd's "Hey You" rolle ich entrückt der untergehenden Sonne entgegen. Die Wolken malen Bilder an den orange-grauen Himmel. Sämtliche Dämonen sitzen neben den Dackel gequetscht auf dem Beifahrersitz und starren mich unverhohlen an. Mir egal, ich genieße den Augenblick.

Als die Umgebung sich im Zwielicht tiefschwarz vom Himmel abhebt beschäftigt mich die Frage wieviele solcher Momente hab ich mittlerweie verpasst? Nebenbei fällt mir die Tankstelle wieder ein. 10 Ausfahrten nach der geplanten fahr ich raus, gefährlicher Weg, die Wehmut zupft ungeduldig an meinem Ärmel. Ich fliehe an der Tanke vor ihr und dem Rest der Bande aus dem Auto. Als ich wieder einsteige haben sie sich lauernd in den Fußraum verzogen. Ich schaffe es sie zu ignorieren, während Dr. R. und Herr R. sich hinter meinem Rücken die Hände reiben. Der Rückweg ist angenehm, die Straßen frei. Die Sonne ist weg und hat die dämlichen Dämonen mit hinter die Datumsgrenze gezogen. Dämlich grinsend komm ich zuhause an.

165 Minuten Leben und ich war dabei... XD