Autor: E. C. Kindermann
Autor der Neufassungen: H.J.J. De Jong
Vorwort: H.J.J. De Jong
Seiten: 180
ISBN-10: 3-033-00703-1
ISBN-13: 978-3-003-00703-1
Verlag: de jong publications zurich. 2006
Rezension von Frank Drehmel
“Die geschwinde Reise” -um der zeitgemäßen, marketing-technisch notwendigen Titel-Verkürzung zu folgen- erschien erstmals im Jahre 1744 und stellt damit nach der im ausführlichen, essayistischen Vorwort begründeten Auffassung des Herausgebers den ersten deutschen “Science Fiction”-Roman dar, also einen, der -im Gegensatz zu Keplers “Somnium Seu Opus Posthumum”- in deutscher Sprache geschrieben und herausgegeben wurde und der die wissenschaftlichen Erkenntnisse der damaligen Zeit fiktional fortschreibt. Nach heutigem Maßstab allerdings ist “ Die Geschwinde Reise auf dem Lufft-Schiff nach der obern Welt, welche jüngsthin fünff Personen angestellet um zu erfahren, ob es eine Wahrheit sey, dass der Planet Mars den 10. Jul. dieses Jahres das erste Mahl, so lange die Welt stehet, mit einem Trabanten oder Mond erschienen? Der untern Welt zu curieuser Gemüths-Ergötzung und Versicherung dieser Begebenheit mitgetheilet durch die allgemeine Fama” mit ihrem Umfang von rund 50 Seiten sicher weniger ein Roman als vielmehr eine SF-Kurzgeschichte, was jedoch dem Unterhaltungswert keinen Abbruch tut.
Der weibliche Engel Fama fordert, indem er an ihr männliches Ego appelliert, fünf Männer -Auditus, Visus, Odor, Gustus und Tactus- auf, ein Luftschiff zu bauen, um damit den von dem Astronomen Kindermann neu entdeckten Marsmond zu bereisen. Da sich die Fünf nicht nachsagen lassen wollen, Feiglinge zu sein, zimmern sie flugs ein geeignetes, von mehreren Ballons getragenes Konstrukt zusammen und machen sich auf die Erkundungstour.
Während die Männer noch um Ruhm und Erkenntnis ringen und den seltsamen Wesen des Himmels begegnen, kehrt zwischenzeitlich der sie begleitende Engel Fama zurück zur Erde, um dem gemeinen Volk von ihren außergewöhnlichen Abenteuern zu berichten.
Dem belesenen, technisch versierten SF-Freund des 21. Jahrhunderts werden aus heutiger Sicht viele der Gedanken und Ausführungen des Autors in weiten Teilen harmlos, naiv -um nicht den Terminus “wissenschaftlich unsinnig” gebrauchen zu müssen- im wahrsten Sinne des Wortes anachronistisch oder bekannt vorkommen, in ihrem historischen Kontext mögen sie relativ kühne Visionen gewesen sein. Da die Mehrzahl der Leser jedoch kein akademisch-historisches Interesse an der Lektüre haben dürfte, stellt sich zwangsläufig die Frage: Was kann uns dieser Kurzroman, dessen Autor rückblickend weder in die literarischen, noch wissenschaftlichen Annalen eingegangen ist, heute noch bieten?
Sprachlich und stilistisch ist der Roman in seiner ursprünglichen Fassung sicherlich kein Juwel der Literatur des 18. Jahrhunderts, auch wenn der Naturwissenschaftler Kindermann in einigen Passagen Bilder von “poetischer” Kraft entwirft. Alles in allem dominieren jedoch relativ kurze Sätze und ein an der Darstellung von Fakten und Handlungsabläufen orientierter, nüchterner Stil, der die Geschichte eher steif und hölzern denn lebendig wirken lässt. Die illustrierte Bauanleitung, aber auch das unverhohlene Werben für die eigene wissenschaftliche Reputation -“Wer seine Vernunft weiter belustigen will, der lese die vor kurtzem herausgekommene, mit allerhand Muthmassungen angefüllete, vollständige Astronomie des Hernn Kindermann: in selbiger liegen alle Welt-Cörper beschrieben und in Kupffern entdecket” [S. 38]- weisen deutlich in diese Richtung.
Auch der Wechsel der Erzählperspektive hin zum Engel Fama ergibt sich nicht notwendigerweise aus der Handlung, sondern hinterlässt ein bemühten, unbefriedigenden Eindruck.
Dass es dennoch Spaß macht, dieses Buch zu lesen liegt zum einen an De Jongs beiden Neuversionen -in der ersten übernimmt er Kindermanns Erzählstruktur und Handlung, bedient sich allerdings einer leicht modernisierten Satzstruktur sowie heutiger Grammatik und Rechtschreibung, während er in der zweiten lediglich die Handlung beibehält, sich ansonsten jedoch im Stil einer Nacherzählung einer freieren Sprache bedient-, die a) die Geschichte für eine breite Leserschaft überhaupt konsumierbar machen und b) zum unterhaltsamen Versionen-Vergleich einladen.
Zum anderen überrascht Kindermanns Ideenreichtum, der sich hinter modernen TV-Show-Scripts à la StarTrek oder Babylon5 kaum verstecken muss und der belegt, dass nicht alles, was uns heute als neu verkauft wird, auch tatsächlich neu ist. Wenn der Autor z.B. darüber fabuliert, dass ein durch “Putrefaktion elastisch gewordener Mensch” durch alle Sphären -also auch den Himmel, das All- zu gehen vermag, so ist dieser evolutionäre Aufstieg des “Menschen”/der Menschheit auch ein zentrales Motiv zahlreicher neuerer SF-Konzepte.
Schlussendlich -und das soll nicht verschwiegen werden- hinterlässt “Die geschwinde Reise” angesichts der fundamentalen physikalischen Irrtümer in dafür prädisponierten Lesern ein unbestimmtes, wohliges und genussförderndes Gefühl “intellektueller” Überlegenheit.
Fazit: Sprachlich und stilistisch nicht auf höchstem Niveau weiß die Geschichte dennoch -nicht zuletzt dank De Jongs Neufassungen und seinen informativen Vorwort- mit ihren erstaunlichen Ideen-Reichtum zu überzeugen.