16.06.2008

Mit fremden Augen

Was da oben vorging war uns eigentlich immer egal, wir sahen nur gelegentlich die Ergebnisse und versuchten ihnen aus dem Weg zu gehen. Bei der Größe des Ozeans kein schwieriges Unterfangen, vor allem seit die ganzen Jäger sich mit uns geeignet hatten nur das nötigste zu tun um selber zu überleben. Zumindest solange da oben die Geschehnisse tobten. Alles zog sich in Summe über knapp 20 Jahre, und danach wurde es so ruhig dass wir danach an Land gingen um nach dem Rechten zu sehen. Wir blieben dann gleich dort, denn es war niemand mehr da um uns das Gebiet streitig zu machen. Die ganzen ach so intelligenten Säuger auf zwei Beinen, die Maschinen benutzten und die Welt nach ihrem Willen umformten, waren verschwunden. Nur mehr ihre zerstörten Behausungen waren ein Zeugnis ihres Seins.

Als Delphin lebt es sich einfach. Den meisten Meeresbewohnern ist man an Intellekt überlegen, was aber keinesfalls ein Ersatz für Größe oder ein paar Reihen scharfer Zähne sind. Und natürlich sind nicht alle vor Zähnen starrende Monster dumm. Haie, zum Beispiel, können ganz gewieft sein wenn sie wollen. Aber meistens beschränken sie sich auf zwei Dinge: schwimmen und fressen.
Da sind die Wale schon besser. Ihre Gesänge reichen weit und dienen zum Informationsaustausch. Wie Tratschweiber, deren Tisch der Ozean ist. Ihre Lieder sind vergleichbar mit dem, was die Menschen klassische Musik nannten. Klassisch im Sinne dass es nie aus der Mode kam.
Je tiefer man kommt, desto verschiedener sind die Lebewesen, die man antrifft. Sie werden immer weicher und oft kleiner. Erst ganz unten, wo es wieder warm wird, gibt es Monster, die noch größer sind als die Wale oder Haie. Es sind Haie, aus grauer Vorzeit, gefangen zwischen der Wärme des Erdbodens und der Kälte der Ozeane. Doch würden sie nach oben kommen, bei meinen Flossen, wir wären nur ein Buffet für sie.

Ich will aber nicht mehr über meine Nachbarn lästern.
Eigentlich will ich über die Menschen berichten, die alles hier oben als total selbstverständlich ansahen. Sie ebneten Berge ein oder schufen neue, je nachdem. Wir sind nicht dazu fähig, und haben es auch nicht nötig, will ich mal betonen. Die Meere geben uns alles was wir brauchen, also wozu was ändern.
An Land ist es, zumindest seit wir hier sind, auch nicht anders. Wir mussten nicht Berge erschaffen, unsere Bedürfnisse sind jedoch anders. Zum Fressen gehen wir noch immer zurück in die Heimat, das Wasser. Aber an Land ist es sicherer, keine Jäger, die aus Spaß töten. Keine Rabauken, die dich nur aus Spaß jagen und töten, wie die Orcas, die jetzt wieder zahlreich die Meere unsicher machen. Wie die Wölfe, die sich an Land nur langsam und vorsichtig an uns heranwagten und nach einem kurzen Gespräch wieder respektvollen Abstand einhielten.

Die Menschen waren, wie wir von den Wölfen erfahren haben, anders. Sie waren nie zufrieden, und beneideten sich gegenseitig.
Wir verfolgten ihr Handeln so gut es ging aus sicherer Entfernung, manchmal wagten wir uns auch näher ran und warnten sie. Doch die Menschen, in ihrer Arroganz, sahen unsere Gesten als Versuch mit ihnen zu spielen.
So kam es wie es kommen musste. Irgendwann sahen wir viele Schiffe auslaufen und Maschinen durch die Luft fliegen. Andere rollten in Küstennähe vorbei ins Landesinnere.
Da schrillten bei uns schon alle Alarmglocken und wir begannen die anderen zu warnen. Die Wale nahmen unsere Warnungen sofort ernst und verbreiteten sie mit ihren Gesängen. Die Haie brauchten länger, und haben sogar ein paar unserer Boten gefressen.
Wir Delphine waren sozusagen das Streichholz, das das Feuer entzündet hat.
Dann begann das Sinken. Immer mehr der Schiffe kamen als riesige Geschosse nach unten, total verfetzt und zerschossen. Einige von uns im Wasser konnten den Trümmern nicht ausweichen und wurden verletzt, viele sogar erschlagen.
Andere Schiffe, die wie wir unter Wasser dahin zogen, waren die schlimmsten. Sie schossen lange Dinge ab, die manchmal auch uns trafen. Und diese Geräte, die sie benutzten um sich zu finden, sie schmerzen in unseren Ohren und trieben uns beinahe zum Wahnsinn.
Wir zogen uns so tief zurück wie wir konnten, doch Wale und Delphine mussten ja immer wieder hinauf zum Atmen.
Da kamen uns zum Glück die Riesenkraken zu Hilfe und schlugen riesige Höhlen in die Felsen, in die sie Luftblasen setzten. Einige von uns konnten so gerettet werden, andere blieben wie ich unbelehrbar und stiegen immer wieder auf. Wieder andere erstickten einfach.
Ich, zu meinem Teil, ging eigentlich nur wieder hinauf um zu sehen was da vorging. Die Flugmaschinen wurden immer weniger, die Schiffe auch. An Land traute ich mich bald nicht mehr, weil es dort noch schlimmer war wie auf See.
Dazu kam die dauernde Hitze. Die Wasser brodelten oft und waren manchmal so heiß dass nur die Tiefe der Meere Linderung schenken konnten.
Schließlich endete alles, von einem Tag auf den anderen. Alles war weg. Alle Schiffe, als Flugmaschinen, alle Landmaschinen. Riesige Landstriche waren abgebrochen und ins Meer gestürzt.
Wir, die Gelehrten der Meere, konnten mit den Puzzlestücken, die dadurch ins Meer gespült wurden, bald etwas anfangen. Wir benutzten Landkarten, Schriften und schließlich sogar einige Geräte um alle aufzuklären.
Die Menschen hatten sich kurz gesagt selber verschlungen. Um Gebiete war es gegangen, Ressourcen und natürlich die Macht. Die Menschen waren Barbaren, die mächtige Waffen haben. Mehr als Zähne, Flossen und Fangarme. Mit diesen Waffen stürzten sie sich in den Untergang.
Sie verdammen die Übeltäter wohl selber. Obwohl, eher nicht. Es ist ja niemand mehr übrig, der verdammt werden kann. Und noch weniger jemand, der verdammen könnte. Kein Mensch ist übrig, alle sind dahin gegangen. Verbrannt, ertrunken, erschossen, verstrahlt.

Genau das ist das Problem.
Die Welt, ein Grün und freundlich, ist nur noch ein Land aus Glut, Flammen mit Aschenregen. Kein Land, in dem man gerne verweilt. Aber die Wasser sind vergiftet und verstrahlt. Alles stirbt, in allen Tiefen, an allen Orten.
Die Erde ist ein wüstes Feuerland, bald ohne Leben. Bald werden nur noch die Lavaströme und das Gift seine Kreise ziehen.
Ob an Land oder im Wasser, überleben werden wir nicht lange. Viele sind schon gestorben, noch viel mehr haben sich selber das Leben genommen.
Schrecklich ist was geblieben ist. Die Flossen voller Schwielen, die Augen eitrig. Der Kopf schmerzt und der Atem brennt schlimmer wie der heiße Boden.

Meine Zeit ist knapp, wie gesagt schmerzt alles.
Ich werde den einfachsten Weg wählen. Den Weg, den auch die meisten verbliebenen Landbewohner wählen. Die Ratten bringen aus den Ruinen der Städte Pulver, in riesigen Menschen. Sie nennen es Rattengift, und sagen dass es verwendet wurde um sie zu töten.
Es soll ein einfacher Tod sein, im Verhältnis zu dem, was denen widerfährt, die gar nichts tun. Die in Krämpfen durch das Meer treiben, mit den Flossen schlagen und schrill kreischen bevor ihre Stimme versagt und sie schwer zum Grund sinken, zu den unzähligen anderen, die vor ihnen starben.

So, leb wohl, du einst schöne Welt. Du warst eine wunderbare Perle in der Größe des Ganzen.
Nun bist du ein schwarzer Schandfleck im Nichts, entstanden durch die Arroganz der sogenannten Zivilisation.
Ich spüre wie das Gift langsam wirkt. Es schmerzt, jedoch nicht so sehr wie es sein muss in den Krämpfen zu gehen.
Ich habe die Welt gesehen, mit meinen und mit fremden Augen. Ich hoffe irgendwann kann das wieder jemand tun. Wenn sich dieser Ort erholt hat und wieder Leben einkehrt. Irgendwann...

Nicolai Rosemann