16.01.2010

Arbeitstag

 

Durchschnittlicher Arbeitstag um 2006

Träge schleicht der Tag unter meine Decke, die Wut ist schon auf. Ist sie überhaupt schlafen gegangen? Mir bleibt noch Zeit, zwei Stunden bis zum Aufstehen. Einer der Bewohner in meinem Kopf hat den Rotationsmechanismus eingeschaltet, der anfängt mit verirrten Gedanken um sich zu schmeißen. Während ich vergeblich versuche wieder einzuschlafen schleudert er mir ein Bild nach dem anderen vor mein geistiges Auge. Scheiße, ich möchte schlafen. Doch das Fließband des Irrsinns befördert scheppernd seine ungeliebte Ware hin und her. Natürlich hat es dabei die halbe Familie geweckt und den Schlaf in die Flucht geschlagen. Wenn ich dem Wirrwar jetzt nicht nachgebe, zerrt es den ganzen Tag keifend an seiner Leine. Ich ergebe mich und überlasse mich der Bilderflut, die die Trauer, die Angst und den Selbsthass aus ihren Betten zerrt. So fängt der Tag gut an. Die Wut schnappt sich eine Nichtigkeit nach der anderen vom Band und hält sie mir gehässig unter die Nase. Jetzt bloß nicht nachgeben. Einige Gedanken abschüttelnd schlurfe ich ins Bad. Bloß nicht in den Spiegel sehen, dafür ist es noch zu früh. Hand in Hand mit dem Charakter und dem heißen Tee scheucht der Fernseher ein paar von den mürrischen Mitbewohnern zurück in ihre Hirnstube. Zeit sich auf den Weg zu machen. Ein erster Blick auf die Autobahn schubst die Zuversicht auf den Beifahrersitz. Vielleicht wird das ja heut noch was. Grinsend hüpfen Euphorie und Gleichgültigkeit ins Auto. Zusammen mit der Zuversicht sitzen sie einträchtig auf den Sitz gequetscht. Die anderen sind mit dem Bus gefahren oder Zuhause geblieben, hoffentlich. An der Kreuzung nimmt mir ein Knalldepp die Vorfahrt, aber er hat Glück, Wut und Empörung sitzen mit Aggressivität mürrisch im Bus.

Der Arbeitstag beginnt schleppend, noch keiner außer mir ist da. Nach der morgendlichen E-Mail-Abfrage, der ersten Foren-Runde und Musikwahl kommen, bei seichter Arbeit, so nach und nach die Nervensägen aus dem Bus gestiegen. Gerade noch seh ich sie unten im Aufzug verschwinden. Gleich werden sie oben sein. Die Aggressivität kommt als erstes durch die Tür und springt mir geradewegs auf den Schoß. Die Wut hat sich aufs zweite Bein gesetzt und grinst mich hinterlistig an. Die gerade noch mühelose Arbeit mutiert zu einem unübersichtlichen Knäuel. Nach 10 Minuten türmen sich undurchsichtige Nebelschichten vor mir auf. Wie soll ich das nur heute fertig kriegen? Die OHL* betritt das Etablissement und saugt alle positiven Strömungen in sich auf. Die Aggressivität macht sich ganz schwer auf meinem Bein, ich versuche ihr beruhigend den Kopf zu tätscheln, für einen Augenblick entspannt sie sich. Die Wut lässt gelangweilt die Beine baumeln. Aber ich kenne sie, sie ist unberechenbar. Zum Glück kommt K. gerade rein. Die Wut fällt erschrocken unter den Tisch. Nach einer kurzen Plauderei mit K. hat die Aggressivität sich zur Wut neben den Papierkorb verzogen, ich versuche erfolglos nach ihnen zu treten.

Schon bald macht die Hektik sich überall breit. Die Zeichnung muss schneller fertig werden, die OHL nimmt mal wieder Rücksicht auf Banker die in Urlaub fahren. Wo wir bleiben ist ihm egal. Überschlagen wir uns halt. Ich mache mich selbst verrückt, kein Überblick mehr da. Die Telefone klingeln penetrant, die Drucker rattern, der Verkehr lärmt durchs Fenster. Die Reizüberflutung eilt herbei. Alle gehen forsch aber immer noch gelassen ihrer Arbeit nach, bloß ich Idiot mach mich zum Affen und stehe unter Strom. Ich verdoppele die Geschwindigkeit, mach einiges nebenbei. Die Tür fliegt auf, die OHL stürmt herein, mein "Morgen" ignorierend reißt er die zweite Tür auf und setzt zum Nörgelmonolog an. Die Aggressivität hat sich mit einem Satz auf meiner Schulter niedergelassen, die Wut klettert gerade an mir hoch, mit der Empörung am Kragen. B. (die OHL) bellt K. unsinnige Befehle zu, dabei streckt mir die Unlogik, die an seinem Rücken baumelt, den Stinkefinger ins Gesicht. Die Wut verstopft mir gemein das linke Ohr, der Ton ist weg. Ungehalten diskutierend schieben sich die beiden Streithähne in meinen Raum. Gleich muss ich mich zusammenreißen um den beiden Nervensägen, die auf meinen Schultern sitzen, die Stirn zu bieten. Ich habe es nie nur mit dem eigentlichen Gegner zu tun. Nein, ich habe noch meine Rasselbande am Hals. Der Monolog von B. lässt mich befürchten den Verstand zu verlieren. Die Wut sticht mir 1000 Nadeln ins Gebein. Die Aggressivität lasse ich gerade soweit hervorlugen dass B. sie bemerkt. Der Zynismus baut sich vor mir auf. Aber ich darf ja nicht. Gepeinigt von den unerhörten Worten ringe ich nach Vernunft und Logik, wie so oft muss ich ins Leere greifen. Die Aggressivität ist dabei mir den Hals abzuschnüren während die Empörung auf die Größe eines Einfamilienhauses angewachsen ist. Dies ruft den Selbsthass auf den Plan, er rammt mir sein kaltes Messer in die Brust. Nachdem B. sich mit meiner Antwort nicht sonderlich aufgehalten hat, geht er wieder dazu über K. mit seinen Gehässigkeiten zu überschütten, der keift zurück. Ich weiß nicht ob ich heulen oder kotzen soll. Die Verzweiflung tanzt mit der Angst einen Walzer und während die beiden sich schwungvoll um ihre Achse drehen, kämpfe ich mit der Wut meinen Kampf, sie klammert sich rücksichtslos an mir fest und schleudert mir ironische Gemeinheiten ins Gesicht. Das macht sie immer wenn sie weiß dass kein Ventil für ihren Abgang in der Nähe ist. Ich halte mir die Ohren zu. Immer wenn ich mich fast mit der Aggressivität verbünde, hält mir die Vorsicht die Logik samt sämtlichen Kontoständen vors Gesicht. Die Impulsivität wird abgewürgt.
Ich habe das Gefühl ein auf Maximum gespanntes Einmachglasgummi zu sein. Ich sitze in der Falle, die Hilflosigkeit lächelt süffisant. Die Situation kennt nur einen Ausweg, die noch zusätzlich künstlich durch B. erschaffene Wut mitsamt dem Hass wie immer herunterzuschlucken und auf den großen Haufen zu kehren, der sowieso schon in der dunklen Ecke vor sich hin stinkt.

Die Hälfte der Familienmitglieder der Familie Dämon, alle mit Zweitnamen Negativ, strömen auf mich ein. Ich sehe K. vor mir und das was er alles für mich getan hat. Und kann nichts tun, außer ihm die Verzweiflung herüber zu schicken nach dem sie mit mir fertig ist.
Nach der unerfreulichen, aber nicht unüblichen Arbeitsunterbrechung grinst mich immer noch die Zeichnung auf meinem PC an. Ich setze die Arbeit fort und alle Quälgeister tanzen Paso Doble auf meinem Rücken. Die Konzentration hat sowieso längst Pause gemacht.
Also erstmal Mittagspause. Die sorgt dafür dass aus dem Paso Doble ein langsamer Walzer wird.
Wieder zurück am PC stürzen B.'s Gemeinheiten der letzten 5 Jahre auf mich herab. Die Wut sitzt neben mir auf dem Schreibtisch und kaut auf einer mitgebrachten Stulle. Natürlich lässt sie es sich nicht nehmen mich gedanklich von B. zu sämtlichen Arschlöchern ihrer Zeit zu schleifen, was überhaupt nicht sachdienlich ist. Während die Hektik wieder zur Hochform aufläuft kommt eine ganz besondere Freundin auf mich zu gewackelt. Die absolute Leere. Ich könnte sie sympathisch finden, doch hat sie die schlechte Angewohnheit zur unpassendsten Zeit aufzutauchen. Bang, es ist wie ein Kopfschuss. Ich sitze am PC und alles ist weg. Meine Festplatte ist abgeschmiert. Hilflos zuckelt der Mauszeiger auf der Zeichnung herum. Ich hab das Gefühl mir brennt der Hut. Gerade wusste ich noch ziemlich genau was ich da tat. Jetzt bräuchte ich einen Schnellkurs in CAD. Verflixt, gerade jetzt. Die Wut kichert und spuckt dabei Brotkrümmel auf meinen Schreibtisch. Nach einer Runde durchs Büro glückt der erneute Versuch. Bis ich die Zeichnung fertig habe linst die absolute Leere noch ein paar Mal durch die Tür. Nach dem Ausdrucken der Pläne mache ich schleunigst dass ich das Weite suche.
Zu allem Überfluss quetschen sich alle Peiniger mit in mein Auto, nur die Euphorie haben sie in der Tiefgarage stehen lassen. Der Rückweg ist mein Mikrokosmos, er gehört allein mir und meinen Dämonen. Als ich jedoch das Stauende vor mir auftauchen sehe, gesellt sich auch noch die Panik hinzu. Für die ist im Auto auf einmal noch Platz. Mist. Ich verfluche die Welt und versuche nicht aus dem Auto zu rennen, das macht nämlich wenig Sinn. Irgendwie komme ich jedoch nach Hause, ohne zusammenzubrechen oder Krisengespräche per Handy zu führen.

Zu Hause ergeben sich dann ganz andere Kapitel, aber die unterliegen immer noch der Schreibblockade. Alles in allem seinerzeit ein Durchschnittstag.

* OHL = Oberste Heeresleitung ;)