Mit einem gekonnten Schlag holte ich mit dem Besenstiel aus und traf die Kiste, die quer durch den Flur flog und regungslos liegen blieb. Ein Glück, dieses Mal kein lebendiger Inhalt in meinem Weihnachtsgeschenk. Erleichternd seufzend stellte ich den vollautomatischen Besen in die Ecke, bedachte mein Geschenk freudig und legte mich dann schlafen.
Morgen würde ich ruhigen Gewissens das Päckchen unter den holographischen Weihnachtsbaum stellen, einfach hoffen, dass nicht noch ein Geschenk ankam, und das Weihnachtsessen ordern.
Weihnachten, schon wieder. Früher hatte man dies als besinnliches Ereignis angesehen. Historische Quellen erzählten von bunten Lichtern, flackernden Kerzen und gemütlichem Beisammensein bei warmem Kaminfeuer, während draußen der Schnee alles in eine weiße Decke hüllte. Gemeinsam schmückte man echte Bäume und verstaute bepackte Geschenke darunter, von denen man wusste, dass sie über Nacht nicht die Gegend erkunden würden. Wie konnte aus solch einer Tradition nur etwas derartiges werden, wie es die Menschen heute hatten?
Dank des Klimawandels hatten wir schon seit vielen Generationen keinen Schnee mehr erlebt und jedweder Weihnachtssinn war unter den unmöglichsten Dingen verloren gegangen. Doch so richtig schlimm war es erst geworden, nachdem sich der Unfall mit den Weihnachtsmäusen ereignet hatte.
Eigentlich eine nette Idee, kleine Fellkugeln zu züchten, ihnen niedliche Gesichter zu verpassen und sie mit flauschigem Fell und roter Schleife als Symbol der Weihnacht zu den Menschen zu schicken. Sie wurden als Boten eingesetzt, die mit persönlichen Nachrichten an die Lieben versendet wurden.
Von Niedlichkeit, Freude und einer netten Idee war jedoch nicht viel übrig geblieben, seid die Mäuse mit einem mutierten Gen nach einem Unfall entkommen konnten. Diese produzierten nun binnen weniger Tage derartig viele Nachkommen, dass ihre Population Überhand genommen hatte, da half es auch nicht viel, dass die Klone zeugungsunfähig waren. Denn das bedeutete, dass wenn man mit etwas Pech eine solch mutierte Maus erwischt und an einen Verwandten schickt, diesem unter Umständen anschließend zehn Fellkugeln entgegen springen.
Durch entsprechende Vorkommnisse gewarnt, musste jedes Geschenk daher erst verprügelt werden, ehe es geöffnet wurde. Auch die Anzahl Lebendfallen in meiner Wohnung hatte sich von null auf 27 deutlich vergrößert. Das größte Problem bestand allerdings darin, dass sich die flinken Mitbewohner vorzugsweise auf meinem Bettvorleger schlafen legten und ich dies meist erst bemerkte, nachdem ich barfuß aus dem Bett gestiegen bin.
Als ich am nächsten Morgen meine am Vorabend gepackte Tasche nicht fand, stellte ich mich auf das schlimmste ein. Schließlich fand ich sie im Flur wieder, geöffnet. Ich setzte mich auf mein Sofa und trank einen Kaffee zur nervlichen Beruhigung, die Tasche nicht aus den Augen lassend, immerhin könnte sie davonlaufen. Wenige Minuten später war ich mental noch immer nicht in der Lage, in den Rucksack zu sehen.
Ich riss mich zusammen, näherte mich dem Objekt mit dickem Schuhwerk bewaffnet auf Zehenspitzen und bückte mich. Die absolut äußersten Zipfel der Taschenunterseite gepackt schüttelte ich mit ausgestreckten Armen panisch die Tasche, deren Inhalt sich auf dem gesamten Boden verteilte. Kalender, diverse Zettel, ein langvermisster Stift – aber keine Maus!
Ein Fiepen ließ mich herumwirbeln und ich sah gerade noch, wie ein Schatten Richtung Küche verschwand. Ich beschloss, dies zu ignorieren und verbrachte den restlichen Tag damit, die Postsendungen gepflegt zu ignorieren.
Als ich am Abend einen Tee zubereiten wollte riskierte ich einen prophylaktischen Blick hinter die Kochwand. Ein flauschiges Mäuslein erwiderte kokett meinen Blick. Früher hätte ich mich gefragt, wieso sie sich ausgerechnet das einzig nicht-verrückbare Element meines Mobiliars ausgesucht hatte, mittlerweile hätte mich aber eher der umgekehrte Fall überrascht. Nunja, keine Zeit, die Pflicht rief. Unwichtig zu erwähnen, dass derweil in meiner Lebendfalle gähnende Leere und ein Käsestückchen lauerten, mich dafür aber direkt daneben einige Nagerköttelchen verspottet haben. Statt dem klischéehaften Käse beschloss ich, drastischere Geschütze aufzufahren. Ich suchte den Schoko-Weihnachtsmann, der vor einigen Tagen in einem mäusefreien Päckchen bei mir eingezogen war, und zerlegte ihn in seine Bestandteile, um einige Stückchen erlesener Schokolade in die Falle zu legen. Nur das Beste für die possierlichen Boten.
Als ich selbige Falle zu einem späteren Zeitpunkt kontrollieren wollte, bereitete ich mich innerlich darauf vor, dass die Mäusefamilie – ich zweifelte nicht daran, dass die Maus sich Freunde produziert hatte - es geschafft hatte, die Schokolade zu fressen ohne gefangen zu werden.
Ich warf einen skeptischen Blick in den Flur, in dem die Falle aufgebaut war, und erwarte etwas Lebendiges zu finden. Nun, der Käse war weg. Die ganze Falle war weg! Ich kniff die Augen zusammen und starrte die leere Stelle an, an der sich zuvor definitiv die Falle befunden hatte. Weg! Auch nach mehrmaligem Augenreiben änderte sich daran wenig, nichts zu finden!
Wie hatte ich mir das jetzt vorzustellen? Hatte in der Nacht irgendein Entschärfungskommando die Falle gesichert und entfernt? Hatte ich mit möglichen Gegenangriffen zu rechnen?
Ich beschloss, dass dies nicht so weitergehen konnte und holte zum letzten Schlag aus – ich legte mir eine Katze zu! Was im zwanzigsten Jahrhundert möglich war musste doch auch heute, dreihundert Jahre später, funktionieren!
So bestand mein persönliches Weihnachtsgeschenk dieses Jahr aus einer Katze, genaugenommen einem Kater, den ich Thirteen nannte. Leider schien ihm viel mehr an dem Wohle der Mäuslein zu liegen als mir, und so hatte ich wohl den einzigen Kater auf Erden erwischt, der die Mäuse lieber scharenweise zu mir nach Hause brachte als dass er sie gefangen hätte.
So traf es sich, dass sich am Weihnachtstage eine ganz besondere Art der Weihnachts-Botschaft-Überbringung ereignete. Ich lud meine Verwandtschaft zum feierlichen Essen ein und wir bewunderten beim Abschied gerade den neuen Airglider meiner Eltern, als Thirteen durch das Fenster zu uns heraus kam. Der unbedachten Bewegung meiner Eltern, die das Zielt hatten, die Katze freudig zu begrüßen, folgte eine Warnung meinerseits, da Thirteen sein ganz persönliches Weihnachtsgeschenk dabei hatte. Leider wollte er dieses nicht hergeben, und so eskalierte die Situation. Sein Fauchen verschaffte dem Mäusewesen in seinem Maul genügend Platz zur Flucht, das kleine Fellding nutzt den Moment und rettete sich zwischen die Beine meiner entsetzten Eltern.
Das Katertier spurtete nur einen Sekundenbruchteil später hinterher und warf sich ebenfalls zwischen die nervös tänzelnden elterlichen Beine. Gelassen beobachtete ich den festlichen Tanz vor meinem Haus und empfand das fauchende Miauen und das aggressive Fiepen der Maus begleitet vom hektischen Kreischen meiner Eltern als willkommene Abwechslung zu 'Oh Du Fröhliche' und 'Jingle Bells'.
Während die Verwandtschaft mutig den Glider zu erreichen versuchte, schnappte mein vegetarisches Katerchen sich sein flinkes Spielzeug. Leider konnte meine Mutter nicht umhin, mir noch rasch ein frohes Fest zu wünschen, drehte sich zu mir um und mit Lichtgeschwindigkeit flog die Maus auf meine Mutter zu. So schnell habe ich mich noch nie von ihr verabschiedet.
Wahrscheinlich wollte Thirteen sein Geschenk doch noch überreichen, befand aber den Vorsprung der Familie des Dosenöffners für zu groß und verstand das Umdrehen der Mutter als Aufforderung, das Präsent einfach hinterher zuwerfen.
Am folgenden Weihnachtsmorgen erfragte ich bei dem Vorbesitzer meines Katers, ob die Möglichkeit bestünde, dass mein neuer Hausbewohner lieber spielt als zu jagen. Mir wurde versichert, dass mein Mäusefänger exakt auf eben dies beschränkt ist – Mäuse fangen, von Töten oder gar fressen sei ja schließlich nie die Rede gewesen.
Außerdem bekam ich das Angebot, eine eigens für meine Bedürfnisse programmierte Katze zu bekommen, deren genetischer Code auf das Jagen und Fressen von Weihnachtsmäusen ausgerichtet sei. Ich lehnte dankend ab und bereitete mich stattdessen auf die zweite Weihnachtsfeier vor, dieses Mal waren die Patenkinder zu Besuch.
Als Thirteen gegen die Mittagszeit wie gebannt auf einen Punkt in der Ecke sah, ahnte ich schreckliches. Die Kinder vom bestellten Holo-Weihnachtsmann abgelenkt folgte ich unauffällig Katers Blick, der zur Balkontür führte. Dahinter tummelte sich eine Mäusegruppe und vernichtete etwas, das irgendwann einmal Brot gewesen sein konnte.
Thirteen, kampfbereit wie er ist, nur leider nicht der Klügste, schnellte auf die Mäuse zu und verprügelte Sekunden später die Glastür. Auch von der Tatsache, dass die Mäuse lässig weiterfraßen, ließ mein Kater sich dabei nicht stören.
In der Nacht vernahm ich beim Aufstehen, auf der Suche nach etwas zu trinken, ein knackendes Geräusch, streifte daraufhin meinen Fuß am Bettvorleger ab, warf selbigen mit spitzen Fingern in die Schalldusche und steckte meinen Fuß gleich recht angewidert mit rein. Anschließend erklärte ich mein Haus feierlich zur mäusefreien Zone.
Das war der Punkt, an dem für mich fest stand, dass ich Urlaub brauchte.
So nutzte ich den zweiten Weihnachtsfeiertag kurzerhand für einen Ausflug zur Weihnachtsinsel. Auf dem Weg dort hin in meinem Airglider erinnerte ich mich an eine geographische Aufzeichnung, in der ich mal gelesen hatte, dass die Weihnachtsinsel einst tatsächlich ein kleines Stück Land war, das auf dem Wasser schwamm. Undenkbar, dass eine solche Konstruktion auf der Erde möglich gewesen sein soll.
Hoch über mir wurden bereits die Konturen der großen Glaskuppel deutlich, unter der die winterliche Landschaft in all ihrer Pracht gedeihen konnte. Nicht nur Schnee sondern sogar echte Weihnachtsbäume gab es hier, Vegetation, wie man sie auf der Erde schon lange nicht mehr fand.
Der nette Herr im Eingangsbereich gab mir den dicken Wintermantel und öffnete die Schleuse. Mir schlug eisiger Wind entgegen und ich steuerte zielstrebig einen bestimmten Platz an, den Platz, an dem mein Urlaubsziel auf mich wartete: Das Hundehaus. Das Toben mit großen Hunden durch den Schnee, früher normal, undenkbar bis vor ein paar Jahrzehnten und nun neuentdeckt und ermöglicht.
Ich fand unter vier Schmutzschichten zwei Hunde, die beharrlich behaupteten, dass sie meine waren. Als ich mich seufzend meinem Schicksal ergab und vor der Putzaktion das Futter aus dem Vorrat holen wollte, sah ich ein weiteres tierliches Weihnachtsgeschenk: Die Säcke waren an den Ecken durchlöchert, das Futter herausgerieselt und mit zwei ''Liegt im Dreck – mögen wir nicht mehr!' Haufen verziert.
Zu Tode erschrocken und mit rasendem Puls rannte ich wie vom Blitz getroffen in das klimatisierte Haus, rückte wie besessen Möbel beiseite und stieß ein erstaunliches Repertoire an Flüchen aus, als ich ein akkurat platziertes Mäuseköttel-Bild am Boden entdeckte.
Dem zuständigen Forschungslabor, dem wir und im speziellen ich diese Mäuseplage zu verdanken hatten, schrieb ich eine gepfefferte Beschwerde.
Ein Jahr später nun sitze ich hier und erfreue mich einem leuchtenden Kerzenspiel. Auf dem Tisch wartet das Essen auf meine Familie, die jeden Moment ankommen müsste. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass die Mäuse die Erde noch nicht aufgefressen haben, sondern der Planet nach wie vor als blauer Punkt in weiter Ferne leuchten kann. Ja, hier auf dem Mars lebt es sich einfach besser. Die Tradition, der Geist von Weihnachten ist hier neu belebt worden.
Ich hoffe nur, dass es so bleibt. Und dass jedes ankommende Paket auf ewig zunächst durchleuchtet wird, ehe es irgendwo ankommt, speziell bei mir.
Die verschwundene Mäusefalle ist übrigens bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Von Avelina Rimada Ruiz