14.01.2010

Inkompatibel - Irgendwann 1994

Die Vorstufe zur Hölle ist das, was alle Welt "Beziehung" nennt. Meine liebe Familie ist mir bei der Zerstörung des Zwischenmenschlichen eine große Stütze. Was immer auch passiert, auf ihre Hilfe bei der Vernichtung von Wärme und Geborgenheit kann ich mich 100 Pro verlassen. Ich verschlinge meine Liebsten mit Haut und Haaren. Bevor ich sie, verstört und unbrauchbar für das spätere Vertrauen in die Frau an sich, gut durchgekaut wieder ausspucke. Noch während das Bedürfnis nach Nähe und absoluter Kontrolle alle Sicherung durchknallen lässt, versuche ich unauffällig einen Weg zur Entsorgung zu finden. Die Dämonen-Ambivalenz lebt in der Vorstufe zur Hölle ihre Vielfalt aus. Immer dabei ist die Wut, die die Euphorie vorausschickt um sie von hinten anzufallen und niederzustrecken. Gerade noch der Überflieger, schon ein Loser. Gefühle auskosten bevor sie fordernd werden und schutzlos machen. Nähe heißt Distanz, Verlangen stößt ab. Heute Hü, Morgen Hott. Ist er erlegt, ist er hinfällig. Lästig und schwach. Der Weg der Erkenntnis ist lang. Und gepflastert mit Opfern, die sich bereitwillig dafür hingegeben. Benutze sie bevor sie dich benutzen und ehe sie merken dass die Fassade nur nach Außen glänzt. Doch wer fühlt sich am Ende benutzt?

Während Hände fordernd der Arbeit nachgehen gehen um die Fassade zu bearbeiten, klettert der Hass am Balkon empor. Die Gier hüpft grinsend auf und ab bevor der Ekel ihr eins in die Fresse haut. Der Widerspruch legt die Füße hoch. Die Euphorie tanzt singend wie besoffen auf dem Parkett. Noch ein Glas und sie kotzt sich die Seele aus dem Leib. Die Spannung hat sich mit dem letzten Bus der Impulsivität aus dem Staub gemacht. Einsam sitzt die Leere auf dem Bett und raucht sich eine. Zwischen zerwühlten Laken hockend, guckt sie ungeduldig auf ihre Armbanduhr, der Selbsthass ist schon auf dem Weg. Gefolgt vom Ekel und der Abwertung betritt er den Raum. Die kotzende Euphorie wird am Kragen gepackt und unsanft vor die Tür getreten. Dann machen sie sich breit. Schicken ungefilterte Bildermassen durch den benommenen Geist. Doch der stellt sich tot. Legt sich mit der Leere einträchtig ins klamme Bett. Wenn der Morgen dämmert, bekommt alles ein anderes Gesicht. Der Typ auf der Matratze wird Realität, nichts wie weg. Die Leere geht mit. Unauffällig hat sich der Selbsthass zwischen den Klamotten versteckt, bemerken werde ich ihn erst wenn ich zuhause bin und nach einem bleiernem Schlaf rotgeschrubbt unter der Dusche steh. Die Verdrängung sitzt jedoch schon zwischen Zahnbürste und Seife auf der Ablage über dem Waschbecken. Lässt die Beine baumeln und streicht mir durchs Gesicht. Bis die Fassungslosigkeit den Ekel ehelicht werden noch ein paar Jahre vergehen. Und bis dahin haben die beiden einen Haufen hässlicher Kinder gezeugt.

Irgendwann Februar 1990

Auch vor (gefühlten) "100 Jahren" war ich mit meiner geschätzten Dämonen-Familie schon bekannt und gerade unwissend naiv dabei ihr die Stirn zu bieten. Was für ein lächerlicher Versuch.

Verwirrt versuchen meine Augen die Umgebung an den Geist weiterzuleiten.
Der Kommunikation zwischen ihnen wurde jedoch unbegreiflicherweise die Grundlage entzogen.
Eine weibliche Stimme raunt "Nicht wieder einschlafen" und irgendwas klatscht in mein Gesicht. Nicht ganz wissend wo ich bin, geschweigedenn was ich dort mache, bemerke ich zumindest schon mal dass ich mich in der Horizontalen befinde. Mein Visus beschränkt sich auf die Senkrechte, was das Auskundschaften der aktuellen Lage von vornherein etwas erschwert. Zumindest befindet sich ein Dach über meinem Kopf, denn die Decke ist mit unkleidsamen Platten ausgestattet, quadratisch, schmutziggrau und gelocht. Weil ich es nicht besser weiß, beginne ich hochkonzentriert die eingestanzten Löcher derselben zu zählen. Während ich völlig darin aufgehe, kehrt die Wahrnehmung langsam in meinen Körper zurück.
Die Stimme fragt nach Namen und Geburtsdatum, ich murmle mir irgendwas in den nicht vorhandenen Bart. Alles ist schwarz und es fühlt sich gut an. Einfach fallen lassen. Wieder ist die Stimme da. Sie fragt mich das gleiche, wie blöd sind die hier?
Mit Erschrecken muss ich feststellen dass meine Hände unter der Decke bloße Beine berühren, was mich doch etwas irritiert, ich könnte wetten heute eine Hose angezogen zu haben. Mein Innerstes fühlt sich an als wäre ein 40-Tonner durchgefahren. Die Kehle trocken und schmerzend, der Mund wie Laternenpfahl ganz unten, die Eingeweide wie durchgequirlt. Von irgendwoher höre ich eine Männerstimme "Heiiidiiii" rufen, das einzige was mir dazu einfällt ist mit "Jaaa Peeteeer" zu antworten, was eine grüngewandete Dame auf den Plan ruft.

"Aha, da ist jemand wach! Wird dich wohl nicht freuen das zu hören" bemerkt sie spitz, streicht mir aber beruhigend über die Wange. "Wat will diiie??" denk ich mir und taste mit den Händen weiter hoch, Haut, überall Haut. Ganz am oberen Ende etwas Baumwollartiges, das ich mir mit Sicherheit nicht selbst angezogen habe. Langsam kriecht ein ungutes Gefühl in mir hoch. Ich liege auf einem Bett, soviel ist klar. Als ich versuche den Kopf zu heben um unter die Decke zu sehen, tanzen 1000 Lichter vor meinen Augen, fast wette ich schon auf einem Karussell zu liegen. Mein Hals schnürt sich zusammen und mein Magen grummelt ungehalten vor sich hin. Während ich vorsichtig zur Seite sehe, wiederholt sich das Spiel in abgeschwächter Form. Lieber die Augen schließen und an nichts denken. Als ich das xte Mal wach werde, tappsen kleine Schritte neben das Bett, ich öffne die Augen und kann gerade noch sehen wie sich die bittere Erkenntnis auf das Bett schwingt. Neben mir befindet sich eine grün gekachelte Wand, auf der anderen Seite eine Weitere, dazwischen ist noch Platz, das Ganze wirkt schlauchartig. Die bittere Erkenntnis zerrt an der Decke und klatscht mir mit voller Wucht einen eiskalten Waschlappen ins Gesicht. Der Schlauch ist ein Krankenhausflur und ich habe auf ganzer Linie versagt. Verflixt.

Einen Wimpernschlag lang spiele ich mit dem Gedanken das Weite zu suchen. In der Aufmachung aber irgendwie eine kontraproduktive Idee. Außerdem schaffe ich es immer noch nicht den Kopf zu heben ohne Sterne zu sehen. Also erstmal die Augen schließen. Behutsam klettert die Verzweiflung zu mir auf das Bett und wickelt behäbig die Trauer und das Bedauern aus ihrer Tasche. Eine gefühlte Ewigkeit heule ich still vor mich hin. Aber ich bin nicht allein, die halbe Familie Dämon steht an meinem Bett. Ich hasse mich in diesem Moment noch mehr als sonst. Nicht in der Lage das enervierende Leben ordentlich auf die Reihe zu bekommen, aber auch nicht es zu beenden. Soll ich froh sein? Dass Morgen alles wieder von vorne beginnt? Nur mit der Gewissheit noch einmal mehr versagt zu haben. Durch den Nebel dringt Unverständliches zu mir durch. Ein Mann in grünen Sachen redet besänftigend auf mich ein. Der kann mich mal. Ich heule bis die Nase zu ist. Irgendwer reicht mir ein Papiertuch. Die Wut kuschelt sich an mich. Sie hält mich wach. Der Irrsinn nagt an meinem Bett, ich bin versucht ihm nachzugeben, lasse es aber. Morgen ist auch noch ein Tag. Leider. 

Stolpersteine - Voedestraße 63, 44866 Bochum

Derealisation - Die nette Dame von nebenan

Die Frau mit der ich mich unterhalte ist blond und nett. Wir reden zwar über belangloses Zeug, aber dies so als würden wir uns ziemlich gut kennen. Die Logik gebietet dass dem in der Tat so ist. Sie ist meine Schwester und irgendwas sagt mir dass ich es eigentlich auch weiß. Meine Wahrnehmung meint es allerdings besser zu wissen und fragt immer wieder "Wer zum Henker ist die Blondine da mit der du da quatscht?" Ich sehe sie ganz genau an, jedes Detail. Das Gesicht ist mir fremd. Ich sehe bloß vor den Kopf, eine Hülle von der ich nichts weiß. "Wahwah?" Ein Blick nach links in ein weiteres blond umrahmtes Gesicht. Eine unwichtige Frage beantwortend, tasten sämtliche Sinne die zweite Person ab, die vorgibt mich kennen zu wollen. Das tut sie wohl auch, es ist meine Nichte. Ich starre sie an und erkenne sie nicht. Eine dritte Blonde setzt sich dazu. Sie ist jünger als ich. Sie lacht mich an, macht einen Scherz. Ferngesteuert sonder ich menschliche Sprache ab. Die Logik weiß wer sie ist, die Wahrnehmung nicht. Während ich darüber nachsinne ob irgendwo hier in einem Keller ein besessener Wissenschaftler Blondinen klont, kommt eine mürrische Rothaarige in den Garten. Das Spiel geht von Vorne los. Ich erkunde das Gesicht, erkenne es nicht. Langsam ist mir egal wer da sitzt. Die Logik weiß ja wer es ist.

Um mich herum scheint das Leben zu toben, ich sitze auf meiner Insel und ziehe mit den Zehen Kreise in den Sand. Die Umgebung ist fremd, aber ich weiß wo ich bin. Hoffe ich. Ich beobachte die Damenriege die mich umgibt und freue mich dass sie lachen. Es hätte auch schlimmer kommen können. Trotzdem wünsche ich mir, ich wäre Zuhause geblieben, dann würde ich mich jetzt sicherlich nicht mit der letzten Kraft an den abfahrenden Zug der geistigen Gesundheit klammern. Etwas Unangenehmes macht sich in mir breit, ich rutsche nervös auf dem Stuhl herum und bin überzeugt dass alles gerade nicht richtig ist. Die Welt ist ver(-)rückt. Die Zeit dehnt und zieht sich, ob sie noch vorwärts läuft? Ich stehe auf um durch den Garten zu laufen, den ich eigentlich kennen sollte. Tu ich es? Die Wahrnehmung baut sich vor mir auf. Jetzt will sie mir weismachen, ich war hier noch nicht. Die Logik wird im Keim erstickt. Panik unterdrückend latsche ich den Löwenzahn platt, mir doch egal ich kenn ihn ja nicht. Die Wahrnehmung hat die Logik im Schwitzkasten und triumphiert. Die Wut meldet sich. Da ich sie gerade nicht gebrauchen kann, brat ich ihr eins über, zum Glück, langsam trollt sie sich. Resigniert schlurfe ich an den äußersten Rand des Nebels in meinem Kopf. Die Logik erhält die Überhand zurück. Sie hat der Wahrnehmung den Arm verdreht, die jetzt beleidigt auf ihrer abgeschabten Matratze im Hinterstübchen lümmelt. Ärgerlich dreht sie mir den Rücken zu. Ich blinzel in die Sonne und denk mir "Die kann mich mal". Endlich zurück?

Zu Besuch

Nach Tagen des Brütens erliege ich mitten in der Nacht einem akuten Drang von Mitteilungsbedürfnis. Endlich will der mentale Abfall der meine Hirnwindungen verstopft hinaus.

Doch dann, ich finde den Kulli nicht und bekomme eine Sauwut. Wusch, der Moment der über alles erhabenen Erkenntnisse ist vorbei. Und lässt mich mit dieser Wut einfach sitzen. Ja, diese Wut. Manchmal frage ich was zuerst da war, die Wut oder ich. Diese fiese, einen von innen auffressende Wut. Die so überwältigend ist dass man glaubt jeden Augenblick platzen zu müssen. Die einen blind macht gegen alle Logik und jeden rationellen Gedanken einfach killt, diese Wut ist ein fanatischer Terrorist. Die man körperlich fühlt und doch nicht erfassen kann. Sie bringt dich zum Rasen und das so schnell dass jeder Formel 1 Fahrer vor Neid erblasst und staunt was wahre Geschwindigkeit ist. Sie will raus, jetzt und gleich. Zerstören was gerade am nächsten liegt und mag es noch so lieb und teuer sein.

Wenn für einen Augenblick der Verstand durch den Nebel blitzt und verhindert dass man zum 5. Mal das sauteure Handy an die Wand donnert, hilft nur ein Ventil, die Wut gegen sich selbst. Das Ventil das am wirkungsvollsten ist und noch dazu die Fantasie anregt. Die Fantasie wie man das Resultat am besten verstecken oder erklären kann. Die Wut, der Symbiont, hat stets die Gleichgültigkeit im Schlepptau. Die Gleichgültigkeit, meine liebe Freundin, die eine gähnende Leere ist. Solange bis das Loch dass sie erwirkt, gefüllt werden muss. Irgendwann geht dir auf, dass die so geschätzte Toleranz lediglich bodenlose Gleichgültigkeit ist. Sie kann so beruhigend und doch eine perfide Nervensäge sein. Man kann nicht umhin sie auch als kaltherzige Ignoranz zu bezeichnen. Aber das ist mir so was von egal.^^ So lange bis die älteste Gefährtin hereinschneit, sich kriechend ausbreitet und ihre Krallen in alle Glieder rammt. Die Trauer, die einen selten ohne ihren Zwilling, der Verzweiflung, besucht. Zwei zerreißende Attentäter, die einen so herzlich umklammern. Widerstand zwecklos. Und haben sie einen dann erst einmal so richtig nieder gestreckt, schicken sie die Sehnsucht zu dir. Die einen ausfüllt, bis in die letzte Zelle. Sie ringt mit dir um deinen Verstand und will dich mitziehen, wie ein argloses Kind. Diese Sehnsucht, wenn sie gewinnt, ist der Spuk endlich vorbei.

Neben der Wut, der Trauer und der Gleichgültigkeit hat sich auch noch die Euphorie an meine Fersen geheftet. Nichts kann sie erschüttern, die Welt gehört mir. Sie ist verheiratet mit dem maßlosen Überschwang. Sie sind ein wahrlich schönes Paar. Nimm meine treuen, so unerschütterlichen Begleiter, die Wut, die Trauer, die Gleichgültigkeit und Euphorie, sperr sie in eine Schachtel. Schüttele so fest du kannst, dann lass sie im Zehntelsekundentakt alle wie den Clown an der Feder aus der Schachtel hüpfen. Willkommen in meiner Welt!

Es gibt Tage, an denen sie alle gleichzeitig an deinen Nerven zerren. Diese Freunde sind wie nervende pubertierende Geschwister, die dich immer dann mit tosendem Gebrüll zum Spielen auffordern wenn du dich in Sicherheit wägst. Ob sie streiten wie die Kesselflicker oder einträchtig zusammen auf ihrer speckigen Couch liegen, man kann sie nicht durchschauen. Manchmal lassen sich einige Mitglieder dieser Familie tagelang nicht blicken, dafür quälen die Anwesenden umso mehr. Die Familie Dämon hat mich voll im Griff. Ich bin schon selbst ein Mitglied von ihr.

Noch eher bin ich der hilflose Babysitter, der mit seinen Schützlingen hoffnungslos überfordert ist. Sie hopsen und springen auf einem herum, mit der Energie einer Kernwaffe. Der Alltag kann ermüdend sein mit dieser hibbeligen Bagage im Kielwasser. Aber dann gibt es Tage an denen sie sich benehmen wie vorbildlich erzogene Musterkinder. Jeder für sich erscheint auf sein Stichwort und dann bist du fast stolz auf sie. Du verdankst ihnen trotz allem so viel, möchte man sie auch am nächsten Tag gerne in den Arsch treten.

Wer jetzt glaubt dass diese ungewaschenen, strubbeligen Gören, die da so großmäulig auf dem Sofa rumhopsen, ein plagender, böser Haufen ist, der hat noch nicht den Rest der Familie kennen gelernt. Gerade wenn der Besucher meint sich alle Gesichter eingeprägt und alle Namen gemerkt zu haben, springt die Tür auf und die Halbgeschwister stolzieren herein. Gefolgt von sämtlichen Cousinen und Cousins, Onkeln und Tanten mit Nichten und Neffen. Und die sind oft zu Besuch. Da ist die Angst mit dem Zweifel an der Hand. Dicht gefolgt vom Narzissmus, er flirtet gerade mit der Hysterie. Das Leid schleift lustlos die Rastlosigkeit hinter sich her. Der Schmerz schubst dreist die Erinnerung an, die sich im letzten Moment an der Sucht festhalten kann. Der Ekel macht ein ganz langes Gesicht. Sie winken dir zu und warten auf dich.

Lieber Gast, verzweifle doch nicht, das ist das Leben wie es halt ist. Komm trink noch ein Tässchen mit meinen treuesten Gefährten, vielleicht sind sie dir bekannt: Die Ironie, der Zynismus und der Verstand. Und wenn du ganz leise bist, hörst du sogar was die Hoffnung da spricht.