11.06.2008

Die andere Seite

Mit geschlossenen Augen streckte Larissa ihr Gesicht der kühlen Nachtluft entgegen und genoss einen kurzen Augenblick den Fahrtwind, der den Duft von reifenden Ähren und Sonnenerwärmten Feldern mit sich trug. Hinter ihr quietschten und kicherten Katrin und Andrea als ob sie bereits den ganzen Alkoholvorrat geplündert hätten den sie mitgenommen hatten. Sandra saß am Steuer und lamentierte mit Hingabe über die Abi-Zeugnisausgabe, die ebenso spießig gewesen war wie deren Teilnehmer samt ihren Eltern. Bevor morgen die große Feier stattfinden sollte, hatten die Freundinnen beschlossen ein lang gehegtes Vorhaben durchzuführen bevor sie nicht mehr die Gelegenheit dazu haben würden. Nur Christina starrte unruhig in die aufkommende Dunkelheit, unbeirrt von der Albernheit die den Rücksitz beherrschte. „Ich hätte mich rechtzeitig abseilen sollen anstatt mich auf solche Kindereien einzulassen“ dachte sie erbost und ärgerte sich über den Anflug von Abenteuerlust, die sie dazu verleitet hatte doch mit ins Auto zu steigen. Widerwillig brachte sie ein schiefes Grinsen zustande und fuhr sich mit den Fingern durch ihre vom Fahrtwind zerzauste Kurzhaarfrisur.
Vom Champagner und der Aussicht nie wieder in die Schule zu müssen beschwingt, waren alle begeistert gewesen als Katrin die Idee kam einfach in die Nacht hinaus zu fahren und den Ort zu besuchen der durch seine seltsamen Vorkommnisse und mysteriösen Legenden in den letzten Jahren einen regelrechten Hype ausgelöst hatte. Christinas kurzes Zögern wurde nicht akzeptiert und so fand sie sich kurzerhand in Sandras protzigem Cabrio wieder, welches ein Teil des Lohns für eine erfolgreiche Schulzeit gewesen war.
Nachdem sie eine halbe Stunde lang erfolglos alle beliebten Treffpunkte abgeklappert hatten, erschien die Gabelung an der sie schon früher so oft gezögert hatten und sich nach gegenseitigem Anfeuern gespannt schaudernd und voller Erwartung entgegen aller Vernunft aufmachten um auf dem Grundstück des alten Herrenhauses ihr Unwesen zu treiben und sich am nächsten Tag in der Schule damit zu brüsten wie weit sie ins Haus und dessen Wäldchen vorgedrungen waren. Als sie in die Allee einbogen schien es allen als ob sie eine längst vergangene Zeit betreten würden, die knorrigen alten Bäume, welche die Straße säumten, hoben sich im scheidenden Zwielicht tiefschwarz von ihrer Umgebung ab. Ein letzter Streifen der untergegangen Sonne tauchte die Szenerie in ein gespenstiges Licht. „Erinnert ihr euch an die Sauerei während der Krötenwanderungen die hier die Straße unpassierbar gemacht haben?“ gluckste Katrin und durchriss damit dass Schweigen das sich auf sie gelegt hatte als sie den Weg einschlugen der zum Anwesen führte. Dankbar für die Unterbrechung der seltsamen Stimmung fielen alle prustend mit ein und jede steuerte eine Anekdote zum Thema bei. Sandra strich sich eine Strähne ihres dichten roten Haares aus dem Gesicht und drehte das Radio lauter als ein alter Song gespielt wurde, der sich perfekt einfügte in die Wehmut die alle befallen hatte. Eine nach der anderen stimmte mit ein und bald hatte auch Christina eine Sehnsucht ergriffen die die unbeschwerte Vergangenheit zurückwünschte.
Sie warf einen Blick auf die Wiesen und Felder die hinter den Alleebäumen durch das letzte Fünkchen Sonnenlicht in zartes Grau gehüllt waren und zuckte zusammen als sich auf einem schmalen Feldweg zwischen den Wiesen die Silhouette eines junges Mädchens abzeichnete. Es sah ihr direkt ins Gesicht und schüttelte bestürzt, ja fast flehend den blonden Kopf, die Kleidung wirkte merkwürdig, so als ob sie wirklich aus den 70ern stammte und nicht bloß einem der immer wiederkehrenden Revival-Trends angehörte. „Halt an!“ rief Larissa vom Beifahrersitz, die es ebenfalls bemerkt hatte und der Ansicht war dass dieses Mädchen, ganz allein, nichts auf diesem Feldweg verloren hatte. Sandra bremste quietschend und stellte das Radio ab. „Fahr zurück, da stimmt etwas nicht“ meinte nun auch Andrea. Sandra legte den Rückwärtsgang ein fuhr zurück an die Einmündung des Weges, wo jedoch niemand mehr zu sehen war. „Komisch“ sagte Andrea „Wohin ist die denn jetzt so schnell verschwunden?“ „Was hatte sie überhaupt hier zu suchen? Und warum vor allem habe ich das Gefühl dass irgendetwas passiert ist?“ wunderte sich Larissa. Sandra und Katrin die nichts gesehen hatten versuchten logische Erklärungen zu finden, doch auch die nahe liegende Möglichkeit, dass es sich um die üblichen Halbstarken handeln müsse, die sich hier herumtreiben wie sie es selbst auch vor Jahren getan hatten, konnte die Drei nicht so recht überzeugen. „Es kam mir vor als ob sie uns vor etwas warnen wollte und ihr Blick hat mich wirklich erschreckt, wie in einer dieser Legenden, die man sich immer erzählt hat“ jammerte Christina deren Bedenken sich in voller Entfaltung zurückmeldeten. „So ein Unsinn“ schimpfte Sandra, „Das ist die Umgebung die euch Mimosen mal wieder paranoid werden lässt, genau wie früher, vor allem als wir zum ersten Mal hier waren“ Katrin wollte sich schier ausschütten vor Lachen als sie in die verstörten Gesichter ihrer verängstigten Freundinnen blickte. Langsam löste sich die Spannung und ein Kichern durchfuhr auch die letzte Zweiflerin.
In der Tat waren Katrin und Sandra immer diejenigen gewesen, die unerschrocken und sensationslüstern in jedes Kellerfenster gestiegen waren und darin nach Beweisen für die Gerüchte gesucht hatten die sich um das Haus Wolfskuhlen rankten. Von eingemauerten Kindern und verschwundenen Personen war ebenso die Rede wie von Satanisten die im Keller des Hauses schwarze Messen abhielten und dabei allerlei skurrile Sachen anstellten.
Wie früher schon parkten sie das Auto einige Meter vor der Einfahrt, um die letzten Meter zu Fuß zurückzulegen und den Anblick des Hauses zu betrachten. Als die beiden verwitterten hohen Mauerpfeiler in Sicht kamen, die vor langer Zeit das Tor gehalten hatten, zeichneten sich, weit auf dem Grundstück gelegen, schemenhaft die in Dunkelheit gehüllten Umrisse des Hauses ab. Der Mond war hinter einer Wolke verschwunden wodurch die Sicht aufs Anwesen etwas eingeschränkt war. Nebelschwaden senkten sich auf die Baumkronen die das Grundstück umsäumten und deren Stämme dicht mit Kletterpflanzen umrankt waren. Christina fühlte einen kurzen Moment Unbehagen bevor sie wie früher vom Anblick des einst stattlichen dreistöckigen Herrenhauses gefangen war, über dessen Haupteingang, zu dem eine breite Freitreppe führte, das alte Familienwappen prangte. Der Zustand hatte sich scheinbar in den letzten Jahren erheblich verschlechtert, was der Aura jedoch keineswegs zum Nachteil gelangte. Nach wie vor war es in der Lage den Anwesenden kalte Schauer über den Rücken zu jagen. „Habt ihr gehört dass hier vor ein paar Jahren zwei Mädchen spurlos verschwunden sind?“ fragte Christina. „Man hat nie herausgefunden was mit Ihnen passiert und ob sie nicht hier gestorben sind.“ „Hör auf, das ist ja gruselig“ schimpfte Andrea, schulterte ihren Rucksack und marschierte mit entschlossenem Gesichtsausdruck auf das Haus zu. Die anderen folgten, sich gegenseitig schubsend und erschreckend bis sie fast an der Stelle angelangt waren von der aus man den besten Blick auf das Haus hat, als aus der Dunkelheit plötzlich leises Knacken zu vernehmen war. Der Schreck ließ sie verstummen und während sie angestrengt in die ungefähre Richtung lauschten aus der sie das Geräusch vermuteten sah Larissa zum Haus auf, aus dessen Schornstein Rauch aufzusteigen schien. „Seht euch das an“ flüsterte sie und schaute sich suchend nach den anderen um. Als sie erneut zum Haus zurücksah war von der Rauchsäule nichts mehr zu erkennen. „Verdammt, jetzt fang ich schon an mir Sachen einzubilden“ dachte sie verärgert und beschloss für sich zu behalten was sie meinte gesehen zu haben. „Für die anderen wäre das mal wieder ein gefunden Fressen sich über mich lustig zu machen“ ging ihr durch den Kopf. Die anderen standen immer noch wie erstarrt und versuchten die Quelle auszumachen, von der das Knacken auszugehen schien. „Ist bestimmt nur eine Katze, die auf ihrer nächtlichen Jagd ist um sich ihr Betthupferl zu holen“ vermutete Sandra, zog eine Taschenlampe aus ihrer Umhängetasche und leuchtete damit ins nahe gelegene Gestrüpp in dem sich Unrat befand den jemand zum Unmut aller einfach hier abgeladen hatte. „Ich wette wenn du den Müllsack da aufmachst kommen dir Hände oder Füße entgegen“ kicherte Katrin und erfreute sich daran wie Andrea schaudernd das Gesicht verzog. „Blöde Kuh, nicht für eine Millionen würde ich da rein sehen“ grinste sie und drehte sich zu Sandra um, deren Gesicht vom Lichtkegel der Taschenlampe erhellt war, die sie sich unters Kinn hielt und dazu panisch wimmerte. „Ihr seid nicht ganz dicht“ kicherte Christina und setzte sich in Bewegung. Als das Haus endlich in ganzer Breite zu erkennen war, hatte sich auch der Mond endlich dazu entschlossen wieder hinter der Wolke hervorzukommen und mit seinem silbrigen Schein die Nacht zu erhellen und dem alten Gutshaus zu einem atemberaubenden Charme zu verleihen. „Wahnsinn“ flüsterte Christina ehrfürchtig „Man kann sich direkt ausmalen wie herrlich es hier früher ausgesehen haben muss“. Sie kramte in der Seitentasche ihrer Cargohose, die wie maßgeschneidert auf ihren schmalen Hüften saß und holte eine kleine Digitalkamera hervor um damit den Anblick festzuhalten, der sich ihnen bot. Als sie überprüfte ob das Bild in Ordnung war bekam sie eine Gänsehaut und wischte aufgeregt auf dem Display herum. „Was ist los? Hast du ein Gespenst fotografiert?“ fragte Sandra und nahm ihr die Kamera aus der Hand. „Was ist das denn??“ Mit großen Augen wanderte ihr Blick zwischen dem kleinen Display und dem Haus hin und her. Auf dem Bild war der Umriss einer Gestalt zu erkennen, die an einem der hohen Fenster stand, aus dem Kamin stieg leichter Rauch in den Himmel auf, die Haustür war deutlich zu erkennen und nicht mehr mit Brettern vernagelt. „Mir reicht’s“ rief Andrea, „Ich werde augenblicklich hier verschwinden und wenn ich den ganzen Weg laufen muss!“ „Das musst du nicht“ antwortete Sandra die nun auch genug hatte und damit nicht alleine war. Erleichtert nicht in das Haus zu müssen und von hier wegzukommen setzte sich Larissa als erste in Bewegung um der mittlerweile deutlich bedrohlichen Atmosphäre zu entfliehen.
Als die Fünf beinahe die Torpfosten erreicht hatten, schauten sie noch einmal zurück und das was sie sahen ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Das Haus sah genauso aus wie eben noch auf dem Foto. An den Fenstern hingen Gardinen, die kunstvolle Haustür wirkte wie frisch poliert und glänzte im Mondlicht. Noch bevor sie loslaufen konnten ertönte ein markerschütterndes Quietschen und als sie sich umdrehten mussten sie fassungslos mit ansehen wie laut polternd mit einem Schnappen das bis eben nicht mehr vorhandene Tor ins Schloss fiel. Christina war außer sich und schrie die anderen an dass sie es ja von Anfang an gesagt hätte, während Andreas Gesichtsfarbe von weiß auf grün wechselte. Larissa rüttelte verzweifelt am Tor, das so hoch war dass es unmöglich erschien darüber zu klettern. Die Straße war nicht mehr zu erkennen denn das ganze Grundstück war plötzlich in dichtem Nebel gehüllt. Katrin fluchte laut, Sandra wühlte panisch in ihrer Tasche und blickte entsetzt auf ihr Handy als sie erkannte dass sie keinerlei Empfang hatte. „Das kann nicht sein, ich habe auch kein Netz!“ Christina war kurz davor den Verstand zu verlieren und wie es schien war Andrea schon einen Schritt weiter. „Wir müssen die Nerven behalten!!“ rief Katrin und schüttelte die wachsbleiche Andrea, die starr vor Schreck vor dem Tor stand und kein Wort mehr herausbrachte. „Jetzt nicht durchdrehen“ Sandra zwang sich zur Ruhe und langsam begann ihr sonst so nüchterner Verstand wieder zu arbeiten. „Wir müssen nachsehen ob wir irgendwo durch den Zaun kommen, der ist doch überall kaputt“ „Ach du meinst genau wie das Tor, was es gar nicht gibt“ meinte Christina zynisch und war sich genauso sicher wie alle anderen dass es nirgendwo eine Lücke gab aus der sie entkommen konnten. „Wir müssen da rein“ stellte Katrin fest und deutete aufs Haus, das sie höhnisch anzusehen schien. „Oh mein Gott, seht nur! Da ist Licht in den Fenstern!“ Larissa liefen die Tränen über das Gesicht. „Was passiert hier?“ „Es bleibt nur eine Möglichkeit das heraus zu finden, wir müssen da rein“ wiederholte Katrin entschlossen und sah trotzig das Haus an. „Nur über meine Leiche“ Larissa zitterte am ganzen Körper und klammerte sich an die immer noch erstarrte Andrea. „Wer weiß, vielleicht kommt das ja noch“ Sandra runzelte die Stirn „So leid es mir tut, aber Katrin hat recht, wir können nur mehr erfahren wenn wir das Haus näher untersuchen, vielleicht gibt es dort Anhaltspunkte was hier vor sich geht.“ „Bleib du bei Andrea, wir drei gehen rein.“ Larissa war bestürzt, die Vorstellung allein mit der dem Wahnsinn nahen Andrea hier vor dem Tor zu bleiben jagte ihr Schauer über den Rücken, doch zog sie diese Möglichkeit einem Besuch in dem verrückten Haus vor. „Okay, dann geht. Wir warten hier“. Katrin, Sandra und Christina machten sich auf den Weg zum Haus und ließen die beiden am Tor zurück. An der Stelle an der Christina das Bild gemacht hatte, blieb sie stehen. „Was hast du vor?“ fragte Sandra als sie sah dass Christina die Kamera rausholte und noch ein Foto machte. „Ich weiß auch nicht, aber es interessiert mich halt was und das Foto jetzt zeigt“ Christina sah aufs Display und war nicht überrascht das Haus in seinem vorherigen Zustand zu sehen. „Als ob wir uns auf einer anderen Seite befänden“ „Von was?“ fragte Katrin die kaum glauben konnte was sie sah. „Keine Ahnung, aber hast du eine Erklärung für das was hier passiert? Katrin zuckte mit den Schultern „Nein“ gab sie zu. „Lasst uns weiter gehen“ schlug Sandra vor, die ins Haus wollte bevor sie ihr Mut verließ. „Wie stellt ihr euch das eigentlich vor? Wollt ihr da anklopfen und „Hallo“ sagen?“ An der Tür angekommen beantwortete Katrin die Frage in dem sie die Tür einfach öffnete. „Dann los“. Die Drei schlüpften durch die Tür und fanden sich in einer schwach beleuchteten Halle wieder, in der ein Kaminfeuer brannte. Die Wände waren mit Gobelins behängt, die noch älter zu sein schienen als das Haus selbst. In der Mitte der Halle stand ein Refektoriumstisch aus massiver Eiche, auf ihm lagen Gegenstände mit denen keine etwas anfangen konnte. Nachdem sie etwa eine Stunde ergebnislos sämtliche Räume und Flure durchsucht hatten, betraten sie durch eine der Türen abermals die Halle. „Ich werde das Gefühl nicht los dass wir in die Gründerzeit des Hauses gerutscht sind“ flüsterte Sandra, „Allerdings weiß ich nicht wie das möglich sein soll.“ „Ich halte hier mittlerweile alles für möglich“ Christina rollte die Augen und näherte sich der Treppe zum ersten Stock in dem sich eine Galerie befand, in der Ölgemälde hingen, welche die Familienchronik des Hauses darstellte. Soweit sie sich erinnern konnte war dieses Haus um 1800 auf einer ehemaligen Burganlage erbaut worden. Angeblich waren schon immer seltsame Dinge vorgegangen, die daher rühren sollten dass der Erbauer einen Pakt mit dem Bösen geschlossen haben sollte. Neugierig betrachteten sie die Ahnenreihen als Christina stutzend vor dem Bild eines Mädchens stehen blieb. „Das gibt’s nicht“ murmelte sie „Sie sieht aus wie das Mädchen dass vorhin auf dem Feldweg gestanden hat! Nur dass das Kleid wesentlich schmeichelhafter wirkt als die olle Trainingsjacke.“ Interessiert folgten sie den Bildern bis zum Ende der Galerie. Katrin betrachtete das letzte Bild genauer und rief aufgeregt nach den anderen. „Seht euch das an, die Rechte auf dem Bild hat ein Piercing in der Augenbraue!“ „Unmöglich, wie soll das gehen?“ fragte Sandra und begann zu frösteln, „Ist euch auch so kalt?“ Fast unbemerkt durch das fieberhafte Interesse an den Bildern war die Temperatur deutlich gefallen. Eine Eiseskälte, die die Atemluft in kleinen Wölkchen sichtbar machte, hatte sie alle erfasst. „Vielleicht sollten wir mal nach den anderen sehen“ sprach Sandra, die sich von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher fühlte. In der Ferne begann es grollend zu donnern, Blitze durchzuckten die Schwärze der Nacht. Es fiel kein Regen, aber draußen an den Fenstern drückte sich wabernder Nebel gegen die Scheiben. Geheimnisvolle Schatten tanzten an den Wänden und gerade als sie kehrtmachen und zur Tür gehen wollten, erhellte ein Blitz den Raum um ihn anschließend in Grabesschwärze zu tauchen. In dem Moment spürte Christina einen stechenden Schmerz an der Stirn. „Mist, wo bin ich denn jetzt gegen gerannt?“ fluchte sie und tastete mit den Händen in der Dunkelheit herum. Hinter ihr versuchte Katrin in die andere Richtung weiter zu kommen, was ihr jedoch nicht gelang. Sandra stolperte über ihr Kleid und wunderte sich wieso sie es überhaupt trug, ihre Hände ertasteten fremde Kleidung die sie niemals angezogen hatte! Als der nächste Blitz die Galerie erhellte wunderte sich Katrin wie es kam dass sie an der Wand angelehnt, wie aus einem Fenster auf den Flur blickte. Links neben ihr saß Christina auf einem altmodischen Stuhl und wirkte fremdartig in dem seidenen Empirekleid mit hoch angesetzter Taille. Bevor sie begriff was passiert war schrie Sandra zu ihrer Rechten laut auf „Wir sind in der Galerie, auf einem Gemälde!!“ Panisch hörte sie Christina schluchzen „Meine Beine, ich kann meine Beine nicht mehr spüren“. Langsam breitete sich eine lähmende Kälte in ihnen aus, die hoch in alle Glieder kroch und sie bewegungsunfähig zurückließ. Katrin sah plötzlich klar die Bedeutung vor sich, nun wusste sie was „Die andere Seite“ bedeutete. Sandras Gedanken galten der Hoffnung dass Larissa und Andrea eine Möglichkeit finden würden sie hier wieder rauszuholen. Ob sie das jemals schaffen könnten??

Und wir werden warten - Man ist länger krank, wenn man zum Arzt geht

Wenn man krank ist, weiß man die Gesundheit zu würdigen. Kranksein heißt aber auch: Wartezimmer!
Und mich hat's erwischt, rausschieben nützt nichts, der Hals protestiert vehement beim Schlucken, was beim Essen niemals nicht gut sein kann. Grippe, na toll!
Ich komme an beim Arzt und denke mir: Hey, klasse, lauter freier Parkplätze! Beherzten Schwunges die Praxis betreten, steuert man vor lauter Euphorie in den Warteraum - und bleibt wie angenagelt stehen. Proppenvoll ist's, kaum etwas frei. Also gedanklich fluchend den Platz ausgewählt (sofern Frau eine Wahl hat) und hingesetzt.
Mein Sitznachbar sagt im Plauderton, wie toll die neuen Parkplätze doch sind. Witzbold! Ich schlage ihm vor, auf den linierten Asphalt Stühle und Tische zu tragen, damit alle Wartenden sich daran erfreuen können. Der wird mich nicht so schnell wieder ansprechen.
Ängstlich schaue ich mich um und zähle die Wartenden. Zwei, drei, vier, vierzehn, fünfzehn...! Ich sehe sie mir alle analytisch an, damit sich auch ja niemand dazwischen mogeln kann. Nicht, dass ich was Besseres zu tun hätte... Um mein Wartezimmer-Vormogel-Vermeidungssystem zu perfektionieren, stelle ich fast automatisch die obligatorische Wer-War-Der-Letzte-Frage.
Nach echoartigem "Der-Da-Nein-Sie-Dort-Nein-Ich-War's" fällt mir ein, dass ich vor lauter Euphorie (so viel dazu!) das Anmelden vergessen habe. Vorgestellt, angemeldet, nett gelächelt, drei Minuten weniger gelangweilt und zurückgehuscht, schon ist mein Platz besetzt und zwei neue sind da, wovon einer grad die Wer-War-Der-Letzte-Frage stellt.
Drei, vier, fünf Finger und Köpfe zeigen auf mich, aber ich schüttele den Kopf und weise auf die neu Hinzugekommene. Die stellt sich als Frau des Platzbesetzers heraus.
Peinlich berührt nehme ich wieder Platz, greife wahllos in den tausendfach begrabschten Klatschheftchen Stapel vor mir und wundere mich über das, was ich in Händen halte.
Da so etwas aber scheinbar den Seltenheitswert einer Mondfinsternis hat, schauen noch immer alle in meine Richtung, kommt ja nicht alle Tage vor, dass da jemand nach Zeitschriften greift. Und so öffne ich zu Tarnungszwecken die erste Seite, ja nicht umblättern, kein Geräusch machen, dann sehen sie schon noch weg, und DANN kann ich vielleicht einen zweiten Versuch wagen.
Nachdem ich endlich eine Zeitschrift habe, in der ein Artikel steht, den ich lesen könnte, werde ich aufgerufen. Endlich! Ich stehe freudestrahlend etwas zu hastig auf, tschüss Wartezimmer!
Ich hab' aber nur vergessen zu bezahlen. So schnell sah man noch keinen Zehner davon flattern. Sie hat den Beruf verfehlt, eindeutig, sie hätte Geldscheingrabscher werden sollen. Ich höre wie aus weiter Ferne, dass ich wieder Platz nehmen darf. Ich darf, nein wie freundlich! Grummelnd genervt steuere ich langsam wieder zurück, und wieder ist mein hart erkämpfter Platz futsch. Nichts ist mehr frei, also stelle ich mich möglichst unauffällig an die Wand. Schon mal versucht, unauffällig durch ein Wartezimmer voll mit guckenden, stillen, neugierigen Menschen zu gehen?
Als ich meinen Platz erreicht habe, weiß ich nicht recht, mich hinzustellen.
Wie steht man intelligent und unauffällig? Ich nehme mir ein Beispiel am Garderobenständer. Den schaut schließlich auch keiner an. Hoffentlich hängt nur keiner seine Jacke an mir auf, dann ist alles gut.
Ich schaue mich weiter um, ganz allmählich den Sonderstatus "Stehend" verlierend, und entdecke ein Kind. Das hat's gut. Spielt am Boden, alle schauen es an, keiner kümmert sich drum. Am wenigstens das Kind. Ich überlege, ob ich mitspielen soll, aber das hätte nur wieder neue Blickfluten zur Folge. Langsam kenne ich alle Augen-Paare hier...
Wieso gibt es eigentlich keine Spielzeuge für Erwachsene? Weil sie sich nicht langweilen und daher keines brauchen? Also ich bin sicher, dass niemand ernsthaft der Meinung sein kann, hier gerade Höhenflüge des Glücks zu haben.
Dann das Unvermeidliche - ich muss niesen! Ein erneutes Baden in fremden Blicken. Keiner sagt Gesundheit. Da es für jedwede Abwehrmaßnahmen zu spät war, brauche ich ein Taschentuch. Scheinbar hat das noch nie jemand hier getan, denn alle verfolgen mein Schniefen mit ungeheurem Interesse. Weltsensation! Eine Stehende, die sich die Nase putzt! Die Frau neben mir auf dem Stuhl rückt unauffällig zur Seite zum hustenden Mann. Ich sage ihr nicht, dass Hustenbazillen ansteckender sind als Taschentücher, hab genug von allem und wechsle fluchtartig auf einen Stuhl, als dieser frei wird.
Der Mann neben mir stößt mich an, nuschelt eine Entschuldigung. Ein Flüstern so laut wie Donnerschläge nicht hätten sein können, alle gucken. Er schaut weg.
Ich versinke in den Ewigkeiten meiner Gedanken, habe jetzt genug Zeit, wieder Angst zu haben. Danke, Wartezimmer. Hat schon mal jemand daran gedacht, dass man durch Wartezimmer erst recht krank werden kann? Mit Kopfweh hin, mit Grippe zurück, sodass man die Woche drauf noch mal zum Arzt darf und alle anderen ansteckt.
Ehe ich nach zwei, drei Stunden intensivsten Gedankenversinkens endlich aufgerufen werde, habe ich alles durch: Handy, Tarnlesen, Kalender mit sinnvollen Terminen wie "Einkaufen" füllen, Taschenwühlen, Starren, mit Accesoirs spielen, so tun als sei man Inventar.
Vielleicht erkennt mich beim nächsten Mal ja mein Freund, der Kleiderständer wieder.
Von Avelina Rimada Ruiz

09.06.2008

Über Weihnachtsmäuse und vegetarische Katzen

Mit einem gekonnten Schlag holte ich mit dem Besenstiel aus und traf die Kiste, die quer durch den Flur flog und regungslos liegen blieb. Ein Glück, dieses Mal kein lebendiger Inhalt in meinem Weihnachtsgeschenk. Erleichternd seufzend stellte ich den vollautomatischen Besen in die Ecke, bedachte mein Geschenk freudig und legte mich dann schlafen.

Morgen würde ich ruhigen Gewissens das Päckchen unter den holographischen Weihnachtsbaum stellen, einfach hoffen, dass nicht noch ein Geschenk ankam, und das Weihnachtsessen ordern.

Weihnachten, schon wieder. Früher hatte man dies als besinnliches Ereignis angesehen. Historische Quellen erzählten von bunten Lichtern, flackernden Kerzen und gemütlichem Beisammensein bei warmem Kaminfeuer, während draußen der Schnee alles in eine weiße Decke hüllte. Gemeinsam schmückte man echte Bäume und verstaute bepackte Geschenke darunter, von denen man wusste, dass sie über Nacht nicht die Gegend erkunden würden. Wie konnte aus solch einer Tradition nur etwas derartiges werden, wie es die Menschen heute hatten?

Dank des Klimawandels hatten wir schon seit vielen Generationen keinen Schnee mehr erlebt und jedweder Weihnachtssinn war unter den unmöglichsten Dingen verloren gegangen. Doch so richtig schlimm war es erst geworden, nachdem sich der Unfall mit den Weihnachtsmäusen ereignet hatte.


Eigentlich eine nette Idee, kleine Fellkugeln zu züchten, ihnen niedliche Gesichter zu verpassen und sie mit flauschigem Fell und roter Schleife als Symbol der Weihnacht zu den Menschen zu schicken. Sie wurden als Boten eingesetzt, die mit persönlichen Nachrichten an die Lieben versendet wurden.

Von Niedlichkeit, Freude und einer netten Idee war jedoch nicht viel übrig geblieben, seid die Mäuse mit einem mutierten Gen nach einem Unfall entkommen konnten. Diese produzierten nun binnen weniger Tage derartig viele Nachkommen, dass ihre Population Überhand genommen hatte, da half es auch nicht viel, dass die Klone zeugungsunfähig waren. Denn das bedeutete, dass wenn man mit etwas Pech eine solch mutierte Maus erwischt und an einen Verwandten schickt, diesem unter Umständen anschließend zehn Fellkugeln entgegen springen.

Durch entsprechende Vorkommnisse gewarnt, musste jedes Geschenk daher erst verprügelt werden, ehe es geöffnet wurde. Auch die Anzahl Lebendfallen in meiner Wohnung hatte sich von null auf 27 deutlich vergrößert. Das größte Problem bestand allerdings darin, dass sich die flinken Mitbewohner vorzugsweise auf meinem Bettvorleger schlafen legten und ich dies meist erst bemerkte, nachdem ich barfuß aus dem Bett gestiegen bin.


Als ich am nächsten Morgen meine am Vorabend gepackte Tasche nicht fand, stellte ich mich auf das schlimmste ein. Schließlich fand ich sie im Flur wieder, geöffnet. Ich setzte mich auf mein Sofa und trank einen Kaffee zur nervlichen Beruhigung, die Tasche nicht aus den Augen lassend, immerhin könnte sie davonlaufen. Wenige Minuten später war ich mental noch immer nicht in der Lage, in den Rucksack zu sehen.

Ich riss mich zusammen, näherte mich dem Objekt mit dickem Schuhwerk bewaffnet auf Zehenspitzen und bückte mich. Die absolut äußersten Zipfel der Taschenunterseite gepackt schüttelte ich mit ausgestreckten Armen panisch die Tasche, deren Inhalt sich auf dem gesamten Boden verteilte. Kalender, diverse Zettel, ein langvermisster Stift – aber keine Maus!

Ein Fiepen ließ mich herumwirbeln und ich sah gerade noch, wie ein Schatten Richtung Küche verschwand. Ich beschloss, dies zu ignorieren und verbrachte den restlichen Tag damit, die Postsendungen gepflegt zu ignorieren.

Als ich am Abend einen Tee zubereiten wollte riskierte ich einen prophylaktischen Blick hinter die Kochwand. Ein flauschiges Mäuslein erwiderte kokett meinen Blick. Früher hätte ich mich gefragt, wieso sie sich ausgerechnet das einzig nicht-verrückbare Element meines Mobiliars ausgesucht hatte, mittlerweile hätte mich aber eher der umgekehrte Fall überrascht. Nunja, keine Zeit, die Pflicht rief. Unwichtig zu erwähnen, dass derweil in meiner Lebendfalle gähnende Leere und ein Käsestückchen lauerten, mich dafür aber direkt daneben einige Nagerköttelchen verspottet haben. Statt dem klischéehaften Käse beschloss ich, drastischere Geschütze aufzufahren. Ich suchte den Schoko-Weihnachtsmann, der vor einigen Tagen in einem mäusefreien Päckchen bei mir eingezogen war, und zerlegte ihn in seine Bestandteile, um einige Stückchen erlesener Schokolade in die Falle zu legen. Nur das Beste für die possierlichen Boten.


Als ich selbige Falle zu einem späteren Zeitpunkt kontrollieren wollte, bereitete ich mich innerlich darauf vor, dass die Mäusefamilie – ich zweifelte nicht daran, dass die Maus sich Freunde produziert hatte - es geschafft hatte, die Schokolade zu fressen ohne gefangen zu werden.

Ich warf einen skeptischen Blick in den Flur, in dem die Falle aufgebaut war, und erwarte etwas Lebendiges zu finden. Nun, der Käse war weg. Die ganze Falle war weg! Ich kniff die Augen zusammen und starrte die leere Stelle an, an der sich zuvor definitiv die Falle befunden hatte. Weg! Auch nach mehrmaligem Augenreiben änderte sich daran wenig, nichts zu finden!

Wie hatte ich mir das jetzt vorzustellen? Hatte in der Nacht irgendein Entschärfungskommando die Falle gesichert und entfernt? Hatte ich mit möglichen Gegenangriffen zu rechnen?

Ich beschloss, dass dies nicht so weitergehen konnte und holte zum letzten Schlag aus – ich legte mir eine Katze zu! Was im zwanzigsten Jahrhundert möglich war musste doch auch heute, dreihundert Jahre später, funktionieren!

So bestand mein persönliches Weihnachtsgeschenk dieses Jahr aus einer Katze, genaugenommen einem Kater, den ich Thirteen nannte. Leider schien ihm viel mehr an dem Wohle der Mäuslein zu liegen als mir, und so hatte ich wohl den einzigen Kater auf Erden erwischt, der die Mäuse lieber scharenweise zu mir nach Hause brachte als dass er sie gefangen hätte.

So traf es sich, dass sich am Weihnachtstage eine ganz besondere Art der Weihnachts-Botschaft-Überbringung ereignete. Ich lud meine Verwandtschaft zum feierlichen Essen ein und wir bewunderten beim Abschied gerade den neuen Airglider meiner Eltern, als Thirteen durch das Fenster zu uns heraus kam. Der unbedachten Bewegung meiner Eltern, die das Zielt hatten, die Katze freudig zu begrüßen, folgte eine Warnung meinerseits, da Thirteen sein ganz persönliches Weihnachtsgeschenk dabei hatte. Leider wollte er dieses nicht hergeben, und so eskalierte die Situation. Sein Fauchen verschaffte dem Mäusewesen in seinem Maul genügend Platz zur Flucht, das kleine Fellding nutzt den Moment und rettete sich zwischen die Beine meiner entsetzten Eltern.

Das Katertier spurtete nur einen Sekundenbruchteil später hinterher und warf sich ebenfalls zwischen die nervös tänzelnden elterlichen Beine. Gelassen beobachtete ich den festlichen Tanz vor meinem Haus und empfand das fauchende Miauen und das aggressive Fiepen der Maus begleitet vom hektischen Kreischen meiner Eltern als willkommene Abwechslung zu 'Oh Du Fröhliche' und 'Jingle Bells'.

Während die Verwandtschaft mutig den Glider zu erreichen versuchte, schnappte mein vegetarisches Katerchen sich sein flinkes Spielzeug. Leider konnte meine Mutter nicht umhin, mir noch rasch ein frohes Fest zu wünschen, drehte sich zu mir um und mit Lichtgeschwindigkeit flog die Maus auf meine Mutter zu. So schnell habe ich mich noch nie von ihr verabschiedet.

Wahrscheinlich wollte Thirteen sein Geschenk doch noch überreichen, befand aber den Vorsprung der Familie des Dosenöffners für zu groß und verstand das Umdrehen der Mutter als Aufforderung, das Präsent einfach hinterher zuwerfen.

Am folgenden Weihnachtsmorgen erfragte ich bei dem Vorbesitzer meines Katers, ob die Möglichkeit bestünde, dass mein neuer Hausbewohner lieber spielt als zu jagen. Mir wurde versichert, dass mein Mäusefänger exakt auf eben dies beschränkt ist – Mäuse fangen, von Töten oder gar fressen sei ja schließlich nie die Rede gewesen.

Außerdem bekam ich das Angebot, eine eigens für meine Bedürfnisse programmierte Katze zu bekommen, deren genetischer Code auf das Jagen und Fressen von Weihnachtsmäusen ausgerichtet sei. Ich lehnte dankend ab und bereitete mich stattdessen auf die zweite Weihnachtsfeier vor, dieses Mal waren die Patenkinder zu Besuch.

Als Thirteen gegen die Mittagszeit wie gebannt auf einen Punkt in der Ecke sah, ahnte ich schreckliches. Die Kinder vom bestellten Holo-Weihnachtsmann abgelenkt folgte ich unauffällig Katers Blick, der zur Balkontür führte. Dahinter tummelte sich eine Mäusegruppe und vernichtete etwas, das irgendwann einmal Brot gewesen sein konnte.

Thirteen, kampfbereit wie er ist, nur leider nicht der Klügste, schnellte auf die Mäuse zu und verprügelte Sekunden später die Glastür. Auch von der Tatsache, dass die Mäuse lässig weiterfraßen, ließ mein Kater sich dabei nicht stören.

In der Nacht vernahm ich beim Aufstehen, auf der Suche nach etwas zu trinken, ein knackendes Geräusch, streifte daraufhin meinen Fuß am Bettvorleger ab, warf selbigen mit spitzen Fingern in die Schalldusche und steckte meinen Fuß gleich recht angewidert mit rein. Anschließend erklärte ich mein Haus feierlich zur mäusefreien Zone.

Das war der Punkt, an dem für mich fest stand, dass ich Urlaub brauchte.

So nutzte ich den zweiten Weihnachtsfeiertag kurzerhand für einen Ausflug zur Weihnachtsinsel. Auf dem Weg dort hin in meinem Airglider erinnerte ich mich an eine geographische Aufzeichnung, in der ich mal gelesen hatte, dass die Weihnachtsinsel einst tatsächlich ein kleines Stück Land war, das auf dem Wasser schwamm. Undenkbar, dass eine solche Konstruktion auf der Erde möglich gewesen sein soll.

Hoch über mir wurden bereits die Konturen der großen Glaskuppel deutlich, unter der die winterliche Landschaft in all ihrer Pracht gedeihen konnte. Nicht nur Schnee sondern sogar echte Weihnachtsbäume gab es hier, Vegetation, wie man sie auf der Erde schon lange nicht mehr fand.

Der nette Herr im Eingangsbereich gab mir den dicken Wintermantel und öffnete die Schleuse. Mir schlug eisiger Wind entgegen und ich steuerte zielstrebig einen bestimmten Platz an, den Platz, an dem mein Urlaubsziel auf mich wartete: Das Hundehaus. Das Toben mit großen Hunden durch den Schnee, früher normal, undenkbar bis vor ein paar Jahrzehnten und nun neuentdeckt und ermöglicht.

Ich fand unter vier Schmutzschichten zwei Hunde, die beharrlich behaupteten, dass sie meine waren. Als ich mich seufzend meinem Schicksal ergab und vor der Putzaktion das Futter aus dem Vorrat holen wollte, sah ich ein weiteres tierliches Weihnachtsgeschenk: Die Säcke waren an den Ecken durchlöchert, das Futter herausgerieselt und mit zwei ''Liegt im Dreck – mögen wir nicht mehr!' Haufen verziert.

Zu Tode erschrocken und mit rasendem Puls rannte ich wie vom Blitz getroffen in das klimatisierte Haus, rückte wie besessen Möbel beiseite und stieß ein erstaunliches Repertoire an Flüchen aus, als ich ein akkurat platziertes Mäuseköttel-Bild am Boden entdeckte.

Ich packte kurz entschlossen meine Hunde, lief grummelnd zurück zu meinem Glider und warf dem Empfangsherrn einen bitterbösen Blick zu.

Dem zuständigen Forschungslabor, dem wir und im speziellen ich diese Mäuseplage zu verdanken hatten, schrieb ich eine gepfefferte Beschwerde.

Ein Jahr später nun sitze ich hier und erfreue mich einem leuchtenden Kerzenspiel. Auf dem Tisch wartet das Essen auf meine Familie, die jeden Moment ankommen müsste. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass die Mäuse die Erde noch nicht aufgefressen haben, sondern der Planet nach wie vor als blauer Punkt in weiter Ferne leuchten kann. Ja, hier auf dem Mars lebt es sich einfach besser. Die Tradition, der Geist von Weihnachten ist hier neu belebt worden.

Ich hoffe nur, dass es so bleibt. Und dass jedes ankommende Paket auf ewig zunächst durchleuchtet wird, ehe es irgendwo ankommt, speziell bei mir.

Die verschwundene Mäusefalle ist übrigens bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Von Avelina Rimada Ruiz

Warum Frauen keine Raumschiffe fliegen sollten und Männer auf Außenmissionen sterben müssen

Janeways Schiff der Amazonen ist der Beweis, dass Frauen nicht fliegen können, und auch nicht sollten.
Als Beweis gilt wohl, dass die USS Voyager in den Delta-Quadranten verschlagen wurde. Das Steuer hatte damals aber noch nicht Tom Paris, der später durch unzählige erstklassige (und auch sehr selbstmörderische) Manöver brillierte, sondern eine Betazoide, die normalerweise wohl eher nur als Schokoladenfressende Berater taugen.
Dann weiters das erste Verhalten im Delta-Quadranten. Ein männlicher Captain hätte sich wohl einfach den erstbesten Kazon gepackt, ihn unter den Tisch gesoffen (wie ein Scotty die Invasoren auf der alten Enterprise) und ihm danach Schiffe, Sternenkarte und Frau gestohlen.
Doch Captain Janeway zerstörte das einzige Ticket nach Hause, offiziell um die Ocampa zu schützen, doch innoffizell wohl eher um den Kazon zu beweisen, dass sie es kann.
Als ob das nicht reichen würde, also gleich zwei Crews zu einer elends langen Reise mit vielen Feinden zu verdammen, flog man zuerst auch noch in die falsche Richtung, um ein paar stellare Phänomene zu überprüfen.
Danach legte man sich natürlich bei jeder Gelegenheit mit den Kazon an, obwohl die Folge, in der Seskas Verrat auffliegt wohl Beweis genug ist, dass die Kazon mit der Technologie sowieso nicht hätten umgehen können. Also was soll da schon schlimmes passieren? Oder anders gefragt: wer soll verraten, dass etwas passiert ist?
Beeindruckend bildlich dargestellt wird auch, dass immer die Männer sterben müssen wenn es mal eine Außenmission gibt. Egal ob Sicherheitsoffizier Durst, der unfreiwillig sein Gesicht einem Vidianer spenden muss, zweiter Chefingenieur Kerry, der als Snack für einen Prä-dinosaurischen Riesenkäfer endet, oder der arme Penner…ähm Ensign, den Tuvok auf dem Planeten mit den umgekehrt alternden Aliens beerdigen muss (Sie wissen schon, die beknackte Folge mit den Kindern, die zum Sterben da ausgesetzt werden weil sie eigentlich uralt sind – absoluter Bullshit, selbst für eingefleischte Fans). Da wir gerade bei sterbenden Männern sind: wissen Sie, dass Lieutenant Kerry zwei Mal stirbt? Einmal wird er gefressen (das wissen die meisten, weil es der Cliffhanger der letzten Folge der zweiten Staffel ist) und einmal erschossen (am Ende der siebten Staffel). Der Typ ist also entweder unsterblich oder Captain Janeway hat alle unwichtigen Männer in den sieben Staffeln verbraucht, sodass der Doktor Lieutenant Kerry klonen musste, damit wieder jemand sterben kann.
Die einzigen Frauen, die mir auf Anhieb einfallen, die sterben, sind entweder Feinde und Verräter (wie Seska), oder die Dame, die in „Die Kooperative“ von dem bösen Ex-Borg mit der Riesenknarre erschossen wird. Aber wer verlässt unter Beschuss schon seine Deckung, liebe Frauen?
Na gut, und Q steckt auch hinter dem einen oder anderen Tod. Aber das ist eben Q, und wenn ich weiterschreibe laufe ich Gefahr so wie die Damen und Herren zu Enden, die mit Q zu tun hatten. Also lasse ich es lieber und kehre zum Sachverhalt zurück.
Weiters bemerken will ich, dass im Schnitt mindestens 12 von 24 Folgen pro Staffel vom Zyklus der Frauen abhängig zu sein scheinen. Denn Captain Janeway sprengt regelmäßig Fürsorger, Kazon, Hirogen, Borg oder Spezies 8472 weg. B’Elanna begnügt sich mit Schiffssystemen, landet fast in der Hölle weil sie auf ihr Erbe spuckt, oder freundet sich mit Captain Schönling (korrigiere: Captain Proton) an.
Seven wieder reißt wenigstens nur einen Mann oder ein paar Borg auf. Seltsam wie viele Borg insgesamt hinter ihr her sind, von den Männern abgesehen. Liegt das vielleicht an der Oberweite?
Wenden wir uns dem Ende der Serie zu. Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich hätte erwartet, dass am Ende irgendwann ein halbzerschossenes Kazonschiff auftaucht und Maha Cullah seinen kazon-cardassianischen Sohn abliefert und sagt die Voyager solle diesen nervigen Carassianer gefälligst mitnehmen.
Aber es gab ja Endgame, die größte Folge laut Episodenguide. Für ein Ende fand ich persönlich sie ja nur mittelmäßig. Vor allem wie sich die Voyager am Schluss aus der Borgsphäre sprengt war sehr kitschig (vor allem weil die Sphäre plötzlich groß genug war die Voyager zu verschlucken).
In Endgame beschwert sich die alte Janeway, ihres Zeichens nun Admiral, bei der Queen, dass sie graue Haare hat. Nun, ich würde sagen das kommt mit dem Altern. Und die Borg für alles, wie zum Beispiel das Altern und Wechseljahre (denn ansonsten würde man wohl nicht zu einer solchen Mission aufbrechen) verantwortlich zu machen, ist wohl zu viel verlangt. Sonst sagt noch jemand die Borg sind daran Schuld, dass im Moment Projekt StarWars wieder ins Kino kommt.
Kommen wir zum Ende.
Zum Glück denken die Borg als ein Geist, in dem die Frauen noch nicht die Überhand haben. Sonst würden sie wohl bald freiwillig in schwarze Löcher fliegen um das Leiden zu beenden. Denn wären die Borg keine Gesellschaft, strukturiert wie ein Insektenstaat, wäre ihre Vernichtung wohl (wie in „Die Zähne des Drachen“ angedeutet) vor 900 Jahren erfolgt.
Doch lautet nun die Antwort für alle Männer sich assimilieren zu lassen? Für jemanden, dem seine Individualität liegt wird es schwer zu glauben sein, aber die Antwort lautet ja.
Nur als Frau darf und kann man weiter ohne Plan im Deltaquadranten rumgurken. Vielleicht findet man zufällig einen Weg nach Hause, ein Phänomen, ein Wurmloch der Borg oder doch einen Schuhladen?
Schuhladen gefunden, Mission beendet.

Von Nicolai Rosemann

Ein ganz normaler Tag?

Die Mittagshitze war stickig und die Taschen die Tjelle trug schienen mit jedem Schritt schwerer zu werden. Ihre Kleider klebten am Leib und das Haar schmiegte sich unangenehm an den feuchten Nacken. „So was Blödes“ knurrte sie frustriert „Warum muss schon wieder ich das Essen besorgen?“ Sie stellte die Taschen ab und strich sich die Schweißperlen von der Stirn. Das Wetter machte ihr zu schaffen, die Sonne stand hoch am Himmel und brannte ohne Gnade auf die Stadt herab. Sie schulterte den größeren Leinensack auf die andere Seite um das Gewicht zu verlagern. Die Straßen waren fast leer, nur wenige Bewohner waren um diese Zeit im Freien seit die Sonne vor 5 Tagen beschlossen hatte einfach nicht mehr unterzugehen.
Die Straße war staubig und der Asphalt schien zu glühen, leise Flüche vor sich hin flüsternd wuchtete Tjelle ihre Last durch die Stadt. Diese dumme Pute war selbst verteilt auf mehrere Taschen noch immer eine Last, langsam fragte sie sich was sie sich dabei gedacht hatte von der Arbeit aus alles nach Hause zu schleppen. Doch leider war ihre nervige Kollegin die einzige die so schnell verfügbar gewesen war. Zudem fiel ihr die Lady schon auf den Wecker seit dem sie vor knapp einem Jahr in der Bibliothek mit ihrer Arbeit angefangen hatte, in der Tjelle seit vielen Jahren zusammen mit Mr. Wisely ihren Dienst verrichtete. Es war nicht so dass es ihr besonders gefiel in der Nachbarschaft zu wildern, aber es war keine Zeit gewesen wählerisch zu sein und außerdem hatte diese Nervensäge ein williges Opfer abgegeben. Ihr entfuhr ein Kichern als sie daran dachte wie ihr das neugierige Weibstück in die Falle getappt war. Mittlerweile bereute sie es heftig dass sie das Jahr über nicht netter zu ihr gewesen war, das hätte ihr diese lästige Schlepperei erspart. Leider wäre selbst Booby Halfwit nicht so einfältig gewesen eine Einladung zu Tjelle nach Hause anzunehmen ohne misstrauisch zu werden. „Das ist meine Strafe dass ich dich ständig schikaniert habe“ murmelte sie in die Taschen hinein, während sie gedankenverloren darin rumkramte und sich einen Zeigefinger daraus mopste. Ihre Mutter hasste es wenn sie sich unterwegs am Essen bedienten, aber der Weg war anstrengend und sie war der Ansicht dass sie sich einen kleinen Happen verdient hatte. Gerade als sie herzhaft ein Stück abbeißen wollte sah sie aus den Augenwinkeln Snooky Stately, den Schwarm der gesamten weiblichen Bevölkerung von Madly Town auf sich zu schreiten. Während sie ihm ein strahlendes Lächeln zuwarf, versuchte sie unauffällig den Finger in ihrer Hosentasche verschwinden zu lassen, was ihr jedoch nicht ganz gelang. „Verdammt“ dachte sie grimmig als das Ding geradewegs vor seine Füße plumpste. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihr Booby’s rechten Zeigefinger ungesehen in den nächstgelegenen Kanalabfluss zu kicken. Nach einem kurzen unbedeutendem Gespräch, welches sich wohl hauptsächlich ums Wetter drehte, was Tjelle nicht genau sagen konnte weil sie schon nach dem dritten Wort die Ohren auf Durchzug gestellt hatte, bot Snooky ihr an sie im Wagen mitzunehmen. Galant nahm er ihr bevor sie protestieren konnte eine der Taschen ab, was ihr beinahe einen Lachanfall beschert hatte bei dem Gedanken dass Booby sich immer gewünscht hatte von Snooky abgeschleppt zu werden. Während er seine Verwunderung über das Gewicht der vermeintlichen Einkauftasche zum Ausdruck brachte, betrachtete sie interessiert die zugegebenermaßen recht appetitliche Rückseite des gut gebauten jungen Mannes unter dessen Shirt sich wie eine Landkarte seine Muskeln abzeichneten. Beim Anblick seines wohlgeformten Hinterns wurde ihr ganz schummerich zumute und sie bemerkte dass ihr Magen laut knurrte. Hätte sie dies vorausgesehen, hätte sie sich nicht die Mühe gemacht sich mit der alten Booby aufzuhalten.
Als sie an der Abzweigung angelangt waren die zum Anwesen ihrer Familie führte, war sie einen kurzen Augenblick versucht ihn hinein zu bitten, ließ den Gedanken schnell jedoch wieder fallen, sie hätte ihn ja doch nicht für sich behalten können. Zu ihrem Leidwesen waren da noch ein Haufen Brüder und Schwestern mit denen sie ständig teilen musste. Nachdem sie sich verabschiedet, bedankt, die riesige Hecke und das quietschende Einganstor hinter sich gelassen hatte, machte sie sich auf den Weg zum Haus das hinter einer kleinen Anhöhe versteckt lag zu der ein dicht bewachsener Weg führte. Rechts des Weges lag ein mit Sträuchern besetztes Feld das von nordamerikanischen Saprophagen bewohnt wurde. Tjelle konnte die geifernden Aasfresser nicht ausstehen und machte sich bei jeder Gelegenheit über sie lustig. Wenn es nach ihr gegangen wäre hätte sie schon längst eine ordentliche Portion Rattengift unter die Abfälle gemischt von denen sie sich ernährten. Widerstrebend musste sie jedoch gestehen dass sie die für sie unverwertbaren Reste der Nahrung entsorgten, die schließlich nicht einfach so der städtischen Müllabfuhr überlassen werden konnten. Nichtsdestotrotz ließ sie es sich auch jetzt nicht nehmen ihnen ein paar verletzende Worte an die behaarten Köpfe zu werfen. Ihre gedrungenen kleinen Körper mit dem filzigen braunen Fell und den klauenartigen Füßen boten zu ihrem Vergnügen immer einen Anlass zum Spott. Der gutmütige alte Mr. Wisely, mit dem sie nun schon seit fast 200 Jahren einige bedeutende Schätze der Literatur hütete, hatte eine Dissertation über diese hässlichen Kreaturen verfasst die ihm weltweite Anerkennung verschaffte.
Als sie fast die Anhöhe erreicht hatte kamen ihr Jonte und Levke, ihre jüngsten Schwestern entgegen gelaufen und rissen ihr fast die Taschen aus der Hand. Während sich die beiden lauthals darüber stritten wer von ihnen die meisten Finger abbekam, betrachtete Tjelle sie leicht amüsiert. Jonte war die Jüngste von Ihnen und als einzige hier im Haus geboren worden. Sie besaß ein einnehmendes freundliches Wesen was Tjelle darauf zurück führte dass sie wie auch Levke eine ganz normale Schule besuchte, was ihre Großmutter so erzürnte dass bereits am dritten Tag nach Jontes Einschulung der erste Lehrer verschwunden war. Sie musste aber zu ihrem Leidwesen zugeben dass die Entwicklung ihrer Schwestern mitunter sonderbare Züge annahm. Zum einen ging Jonte dazu über klassische Musik zu hören und was die Familie als noch viel alarmierender empfand war die Tatsache dass sie begann sich mit Menschenkindern abzugeben ohne sie aufzuessen. Und auch Levke gab Anlass zur Sorge seitdem sie eines Tages von der Schule heimgekehrt war und ein riesiges, mit einem Delfin bedrucktes Poster an ihre Zimmerwand pinnte.
Auch das schrieb die Großmutter der liberalen Mutter zu, der sie noch immer nachtrug dass sie es vorgezogen hatte ein richtiges Haus zu bewohnen.
Die Großmutter trotzte jeder Anpassung, besann sich aufs Ursprüngliche und bewohnte weiterhin den größten und schönsten Feigenbaum auf dem Grundstück. Es war überhaupt ein Wunder dass sie mit aufgebrochen war um, für Rakshasi sehr unüblich, in der Welt der Menschen dauerhaft zu leben. Allerdings war jeder hier weit davon entfernt Madly Town auch nur im geringsten als normal zu bezeichnen. Diese Stadt war etwas das jeder wohl als das ansah was die Menschen als „Multikulturelle Gesellschaft“ bezeichneten. Hier war es möglich, jedenfalls die meiste Zeit über, friedlich zwischen den Menschen zu leben ohne den Lebensraum des anderen zu verletzen. Die überaus naiven Bürger dieser Stadt waren zweifelsohne ein guter Grund hier sesshaft zu werden. Nirgendwo sonst gab es Nahrung in dieser Menge die man nur von den Straßen zu pflücken brauchte. Und das Beste daran war dass sich kaum jemand wunderte wohin seine Mitmenschen so plötzlich verschwanden.
Nachdem sie endlich die Kühle des Hauses umgab warf Tjelle erleichtert das Hemd ab das sie tragen musste um die stacheligen Fortsätze ihrer Wirbelsäule zu bedecken, die man auch den dümmsten Menschen nicht mit einer abnormen Anatomie erklären konnte. Als sie die Wohnhalle betrat in der sich fast alle Familienmitglieder versammelt hatten um auf ihre Ankunft zu warten, wurde sie mit großem Geschrei begrüßt. In Sekundenschnelle war der Inhalt beider Taschen geleert und der Körper von Booby im ganzen Raum verteilt. Das Haus war erfüllt von Knurren, Schmatzen und lautem Geschimpfe vom Streit um die besten Stücke. Am Abend würde sie sich wieder anhören müssen dass sie viel zuwenig mitgebracht hätte. „Pah, unzivilisierte Bagage!“ knurrte sie, schnappte ihrem Bruder Raik beleidigt die Leber vor der Nase weg und verzog sich auf ihr Zimmer, den einzigen halbwegs sicheren Ort um in Ruhe zu essen ohne teilen zu müssen. Auf der Treppe begegnete sie ihrem Bruder Tjalf, der mit traurigem Gesicht und angezogenen Knien auf einer Stufe saß und laut heulte. „Was ist den passiert?“ fragte sie erstaunt, „Du heulst ja wie ein Werwolf“. Schluchzend begann das Nesthäkchen zu erzählen und gestand auf einigen Umwegen, die Tjelle getrost ausblendete, dass er, wie Großmutter herausgefunden hatte, Schuld daran trug dass die Sonne nicht mehr unterging. Sie schmunzelte bei dem Gedanken dass der Kleine scheinbar endlich seine magischen Fähigkeiten entdeckt hatte. Dass dabei kleinere Missgeschicke passierten war ganz normal und sie war beruhigt dass es sich dabei nicht um ein natürliches Phänomen handelte. Sie selbst hatte als Kind ständig gepatzt und unter anderem einmal die Pole schmelzen lassen, was einen Mordsärger gegeben hatte, vor allem deshalb weil sie bei dem Korrekturversuch eine 15-jährige Eiszeit heraufbeschworen hatte.
„Das kriegen wir wieder hin“ Tjelle nahm ihren kleinen Bruder bei der Hand und führte ihn in ihr Zimmer wo sie sich erst einmal Boobys Leber teilten. Dann besuchten sie die Großmutter auf ihrem Feigenbaum und brachten ihr ein großes Stück Hirn mit. Solchermaßen gestärkt war Großmutter bereit den Fehler von Tjalf wieder auszubügeln. Während Tjelle jedoch hörte welche Zutaten nötig waren um den Unfug wieder rückgängig zu machen, wog sie ab ob es nicht doch möglich war für immer in der sengenden Sonne zu leben. Das Herz einer Jungfrau war in Madly Town schwieriger zu bekommen als das sagenumwobene Glatisant.
Augenrollend zündete sie sich mit einem Streichholz eine Zigarette an, begann die Zutaten aufzuschreiben und verfluchte dabei ihren Bruder, der anfing Großmutters Utensilien zu durchforsten. Genervt davon wieder durch die Hitze zu müssen machte sich Tjelle in Begleitung ihrer Schwester Femke auf den Weg. Zunächst galt es alle benötigten Sachen zusammenzutragen um daraus einen Trank zu brauen den Tjalf würde trinken müssen um anschließend seine Worte zu wiederholen, die das Ganze verursacht hatten. Die größte Hoffnung lag darauf dass er überhaupt noch wusste wie er es angestellte hatte. Schweigend stapften die Schwestern über den staubigen Feldweg, der aus der Stadt hinaus zum alten Friedhof führte. Ihr erstes Ziel war die unterirdische Behausung der dort ansässigen Ghule. Bei dem Gedanken daran dass der Trank den ihr Bruder würde trinken müssen das Gehirn eines Guhles enthalten würde, drehte sich Tjelle beinahe der Magen um. Für diese Form des Kannibalismus hatte sie wenig übrig, aber der Brauch schrieb es so vor und so überließ sie diese Aufgabe ihrer weniger zart besaiteten Schwester, der es geschickt gelang einen von ihnen aus der Höhle zu locken und in ein Gespräch zu verwickeln. Unbemerkt von den anderen schaffte sie es in wenigen Minuten seinen Schädel zu spalten und das wertvolle Innere an sich zu nehmen.
Nachdem der unangenehme Teil des Vorhabens erledigt war und sie sämtliche Zutaten beisammen hatten, nahmen die beiden den Bus zur Klosterschule, in der Hoffnung dass sich dort das Herz einer Jungfrau auftreiben ließe. Wie erwartet mussten sie sich im Büro der Oberin bedienen, da sich unter keinem der anwesenden Mädchen auch nur eins befunden hatte das die Bezeichnung „Jungfrau“ tragen durfte ohne das Sternzeichen zu nennen. Plötzlich schrie Femke erschrocken auf. „Das Gehirn, es liegt noch im Bus! Ich habe meine Tasche in der letzten Sitzreihe liegen lassen“ „Wie konntest du sowas vergessen“ schrie Tjelle voller Zorn, „Wir müssen sofort den Bus finden“. Aufgeregt rannten sie die Straße entlang um den Busbahnhof zu erreichen der als Endstation eine Sammelstelle für vergessene Gegenstände beherbergte. Atemlos und mit schweißdurchtränkten Kleidern erreichten sie gerade noch die Haltestelle um zu sehen wie eine dickliche Frau mittleren Alters mit Femkes Tasche um die Ecke verschwand. „Los hinterher!“ Femke erreichte sie als erstes und versuchte sie mit aller Höflichkeit die sie aufbringen konnte dazu zu bewegen ihr die Tasche auszuhändigen, was jedoch gänzlich scheiterte. Grimmig dreinschauend schimpfte die Alte dass die Tasche nun ihr gehören würde und sich die Mädchen zum Teufel scheren sollten. Halsstarrig und uneinsichtig zerrte sie an der Tasche bis ein Riemen riss und sich der Inhalt auf dem Gehweg ausbreitete. „Auch das noch“ dachte Tjelle genervt und verhinderte im letzen Augenblick durch einen geschickten Griff dass das Geschrei der Frau weitere ungebetene Gäste anlockte. Stöhnend bei dem Gedanken diese Last nun auch noch nach Hause schleppen zu müssen sammelte sie, ihrer Schwester zur Hilfe kommend, den ganzen Kram wieder ein. „Die ist verdammt schwer“ jammerte Femke und Tjelle fragte sich was ihr der Tag noch alles bringen würde. Ungehalten fuhr sie ihre Schwester an „Geh rüber zum Eisenwarenladen und besorg eine Säge, ich will sehen ob ich von der Arbeit einen großen Karton besorgen kann.“
Einem ungeschriebenen Gesetz zur Folge, das wahrscheinlich den Regeln ihrer Natur entsprang, durfte kein Mensch der von einem Rakshasa getötet worden war verschwendet werden. Sie hatten keine Wahl, sie würden den Körper der törichten Frau mitnehmen müssen. Widerwillig setzten sie sich in Bewegung und trafen nach kurzer Zeit wieder mit den benötigten Sachen zusammen. Die Frau jedoch war nicht mehr da. „Verdammt!“ Tjelle war einem Wutanfall nahe, „Wo ist sie hin?“ „Ist doch egal“ grinste Femke erleichtert, Hauptsche ist dass wir sie nicht nach Hause schleppen müssen. Mit einem unguten Gefühl stimmte Tjelle zu. „Wir werden später noch einmal zurückkommen.“
Gespannt auf das Schauspiel das sich ihnen bieten würde hatte sich die ganze Familie um Großmutters Baum versammelt und sah amüsiert aber auch stolz dabei zu wie der kleine Tjalf mit Hilfe von Großmutters Trank seine erste kontrollierte magische Handlung durchfühte. Alles lief wie am Schnürchen und er schaffte es fehlerfrei alle Worte in die richtige Reihenfolge zu bringen.
Als somit der Lauf der Tage wieder hergestellt war und alle erleichtert von der abendlichen Kühle in ihre Schlafstätten fielen dachte keine der beiden mehr an die verschwundene Leiche der diebischen Person.
Nachdem Tjelle das Licht gelöscht und dem hektischen Tag den Rücken gekehrt hatte, nahm jedoch die Konsequenz ihres Handelns seinen Lauf. Schon Morgen in der Früh würde sie feststellen dass der scheidende Tag einer der ruhigsten ihres zukünftigen Lebens gewesen sein würde...